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Kernkraftwerk Kahl

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Kernkraftwerk Kahl
Turbinenhalle
Turbinenhalle
Standort
Land Flag of Germany.svg Deutschland
Bundesland Bayern
Ort Karlstein am Main
Koordinaten 50° 3′ 32″ N, 8° 59′ 13″ OTerra globe icon light.png 50° 3′ 32″ N, 8° 59′ 13″ O
Reaktordaten
Eigentümer RWE
Betreiber Versuchsatomkraftwerk Kahl GmbH
Vertragsjahr 1958
Betriebsaufnahme 1961
Stilllegung 1985
Stillgelegt 1 (16 MW)
Einspeisung
Eingespeiste Energie seit 1961 2045 GWh
Stand der Daten 10. Juli 2010
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Die Quellen für diese Angaben sind in der Zusatzinformation einsehbar.

Das Kernkraftwerk Kahl (offiziell Versuchsatomkraftwerk Kahl, kurz VAK, selten auch RWE-1) war das erste Kernkraftwerk Deutschlands. Die Anlage befand sich nahe Kahl und war am Main gelegen. Die Anlage befand sich auf dem Gemeindegebiet von Karlstein am Main und wurde bis 2010 vollständig zurückgebaut. Unmittelbar neben der Anlage stand das Kernkraftwerk Großwelzheim.

Geschichte

In den 1950ern und Anfang der 1960er war in Bayern das Interesse an der Kernenergie sehr gering, wobei man den Ausbau fossiler Kraftwerke forcierte. Das Land Bayern weigerte sich in eine solch unrentable Technologie zu investieren. Allerdings strebte das RWE im Gegensatz zum bayerischen Konkurrenten, dem Bayernwerk, eine erste solche Anlage an.[1] Bereits 1956 beantragte es das Kernkraftwerk.[2] Am 13. Juni 1958 wurde der Auftrag für die Errichtung eines schlüsselfertigen Kernkraftwerks an die AEG vergeben, wobei der kerntechnische Teil vom amerikanischen Partner General Electric kommen sollte. Als Standort wählte man das im Nordwesten von Bayern gelegene Kahl am Main, da der dortige Elektrizitätsmarkt ein eher gering erschlossener Bereich von RWE war. Da der Standort zudem weit von den Kohlerevieren entfernt war dachte man sich, dass sich Atomstrom in diesem Gebiet gegenüber konventionell erzeugtem Strom durchsetzen könnte. Zudem war es möglich für das Kernkraftwerk die Kühlwasserpumpenbauwerke des daneben liegenden Kohlekraftwerks Dettingen zu nutzen. Der Standort wies allerdings im Gegensatz zu allen anderen bereits erschlossenen Standorten weltweit eine höhere Bevölkerungsdichte auf. Allerdings beeinflusste dies nicht die Entscheidung des bayerischen Ministerrats, der sich mehrheitlich für den Standort Kahl entschied.[1] Aufgrund der engen Bauzeit des Versuchsatomkraftwerkes, die vertraglich auf zweieinhalb Jahre festgelegt wurde, wurde unverzüglich nach der Unterzeichnung mit der Bestellung und Lieferung der Komponenten begonnen.[2]

Bau

Noch im Juni 1958 wurde mit den ersten Erschließungsarbeiten begonnen, obwohl nur eine vorläufige Genehmigung vom Landratsamt Alzenau vorlag. Der Grund lag darin, dass das bayerische Atomgesetz solche Privatbauten nicht mit einschloss, sondern nur Reaktoren, die vom Freistaat selbst gebaut und in Betrieb genommen wurden.[1] Am 1. Juli 1958 wurde mit dem Bau an der Anlage begonnen.[3] Kurz darauf am 10. Juli 1958 reichte die SPD einen Antrag zur Änderung des bayerischen Atomgesetz ein. Dieser sah vor, dass der Bau von Anlagen mit einer Leistung von bis zu 20 MW ermöglicht wurde, obwohl sich rund ein Jahr vorher der Abgeordnete Hoeger dagegen aussprach. Allerdings gab es bei der Änderung Einwände bezüglich der Haftung bei einem Unfall, der zwar als sehr gering eingeschätzt wurde aber dennoch möglicht war. Die gleiche Frage beschäftigte das Innenministerium. Erst nachdem Siemens angekündigt hatte, ebenfalls einen Versuchsreaktor bauen zu wollen, sah man die Sache nicht mehr so eng, wobei man aber betonte, dass die Frage der Haftung noch vor der Erteilung der Betriebsgenehmigung des Kernkraftwerks Kahl geklärt sein soll.[1]

Das Bayernwerk bekundete nach der Vergabe des Auftrags an die AEG ebenfalls Interesse an dem Projekt. Aufgrund dessen gründeten das RWE und Bayernwerk im Oktober 1958 die Betreibergesellschaft Versuchsatomkraftwerk Kahl GmbH, an der das Bayernwerk 20 % und das RWE 80 % hielten.[1] Vorstand wurde August Weckesser, der damit der erste Leiter eines deutschen Kernkraftwerks wurde und später zum Kernkraftwerk Gundremmingen wechselte.[2] Die Kosten für die Anlage lagen bei 43 Millionen Deutsche Mark. Alleine 12,5 Millionen waren für die Erstbestückung vorgesehen.[1]

Der Bau verzögerte sich allerdings. Die deutsche Industrie hatte größere Schwierigkeiten bei der Fertigung der Komponenten, aufgrund der hohen Ansprüche. Zudem war der Sicherheitsbehälter zu klein ausgelegt. Aufgrund der vertraglich festgesetzten möglichen späteren Leistungssteigerung der Anlage auf 30 MW und der späteren notwendigen Installation weiterer Komponenten, musste dieser größer ausgelegt werden. Außerdem gab es Probleme beim Bau der Schaltwarte. Bei konventionellen Anlagen war es bisher nicht üblich einen einzigen zentralen Raum zur Steuerung der Anlage zu verwenden, sondern diese an verschiedenen Stellen im Kraftwerk aufzuteilen. Allerdings machte es die Steuerung des Kernspaltungsprozesses und damit die gesamte Überwachung der Anlage unverzichtbar, eine zentrale Schaltwarte einzurichten, von der aus alles gesteuert wird.[2]

Betrieb

Das Kernkraftwerk Kahl wurde erstmals am 13. November 1960 kritisch gefahren[1] und wurde am 17. Juni 1961 mit dem Stromnetz synchronisiert.[3] Die ersten Jahre wurde das Personal von amerikanischen Kollegen beim Betrieb unterstützt.[2] Am 2. November 1961 erhielt das Versuchsatomkraftwerk Kahl eine unbeschränkte Betriebsgenehmigung vom bayerischen Wirtschaftsministerium ausgehändigt. Am 5. Januar 1962 wurde die Anlage dem Betreiber übergeben[1] und ging am 1. Februar 1962 in den kommerziellen Betrieb über.[3] Während der Betriebszeit wurden hauptsächlich verschiedene Brennelementarten getestet und Versuche angestellt, auch in Hinblick auf eine spätere Nutzung von Brutreaktoren hat man Erfahrungen mit plutoniumhaltigen Brennstoff gesammelt.[4]

Der Betrieb war allerdings mit einer Zahl von Störungen verbunden gewesen, die trotz der kleinen Leistung des Reaktors aber nicht zu unterschätzen sind.[4] Die meisten Unterbrechungen des Betriebs waren aufgrund der Erprobung von Brennelementen für den Heißdampfreaktor und von dampfgekühlten Brutreaktoren zurückzuführen. Im Jahr 1963 kam es zu einem ersten Stillstand aufgrund der Installation eines Dampfkreislaufes zur Erprobung der dampfgekühlten Brennelemente.[2] Im Juli 1965 wurde eine Fehlfunktion des Schnellabschaltsystems bei einer wiederkehrenden Prüfung festgestellt. Diese löste nicht aus, aufgrund von verklebten Relais. Im Jahr 1966 kam es im Juni und Dezember zu Überhitzungen an den Brennelementen aufgrund zu hoher Beanspruchung, was zu einem teilweisen Schmelzen der Umhüllungen führte. Einige Brennelemente wiesen Leckagen auf. Im November desselben Jahres gab es eine Fehlfunktion einen Ventils an der Abgasanlage, weshalb radioaktive Gase mit einer Aktivität von rund 50 Curie (1,85 TBq) aus der Anlage entwichen. Das Ventil lies sich wieder manuell von Hand schließen. Am 25. Juli 1968 kam es zu einem Stromausfall im Kraftwerk, wobei die Notstromaggregate nicht anliefen. Nach rund zwei Minuten ohne Stromversorgung konnte die Versorgung vom Hauptsystem wieder sichergestellt werden. Im gleichen Jahr riss bei einem frisch eingesetzten Brennelement die Hülle auf.[4]

Im April 1969 war aufgrund eines defekten Brennelements Radioaktivität aus der Anlage ausgetreten, im Oktober des gleichen Jahres wurden acht Verlängerungsrohre der Steuerstabantriebe ausgetauscht, da diese Risse aufwiesen. Im Jahr 1970 gab es vermehrt Schäden an den Brennelementen, wobei im März bei einem Schaden Radioaktivität entwichen ist. Am 27. Dezember 1971 kam es zu einem Kühlmittelverluststörfall, bei dem durch ein Leck radioaktiver Dampf ins Containment strömte. Am 9. September 1973 wurden die Halterungen der Steuerstäbe stark beschädigt, nachdem man diese eingefahren hatte. Eineinhalb Jahre später wurde anstatt eines Blindelements ein noch verpacktes Brennelement in einer Aluminiumumhüllung in den Reaktor gefahren. Aufgrund dessen kam es zur Verunreinigung des Kühlwassers, weshalb die Anlage voll gereinigt werden musste. Am 11. Juni 1976 musste eine zusätzliche Reservepumpe installiert werden, nachdem eine Nebenkühlwasserpumpe und die Ersatzpumpe ausgefallen waren. Am 22. August 1977 gab es zwei Störungen, wobei zuerst ein Schaden an einem Schnellabschaltventil registriert wurde und später noch ein Leck an einer Frischdampfleitung.[4]

Anfang 1980 gab es einen weiteren Vorfall, in dem 90 m3 Dampf, nach offiziellen Angaben nicht radioaktiv, in den Sicherheitsbehälter strömte. Es wurden erhöhte Werte am Abluftkamin registriert, wobei man aufgrund dessen die Anlage für rund einen Monat vom Netz nahm. Im hessischen Landtag hatte dieser Zwischenfall zu Diskussionen über die Stilllegung der Anlage geführt. Weitere Störungen mit Stillständen gab es das Jahr 1980 hindurch, nachdem ein Blitzeinschlag zu einem Spannungsabfall am Steuerstab führte und dieser in den Kern einfuhr. Im Jahr 1981 hindurch gab es weitere Abschaltungen aufgrund von Verunreinigungen des Turbinenöls und Turbinenschäden. In den restlichen vier Folgejahren gab es weitere Probleme am Turbinenbereich, wobei es dadurch mehrmals zu Stillständen des Reaktors kam.[4]

Die Anlage diente neben der Erprobung von Brennelementen zwischen 1963 und 1970 für den Heißdampfreaktor, der später nebenan errichtet wurde, auch zur Erprobung von Brennelementen für dampfgekühlte Brutreaktoren, sowie als Ausbildungsplatz für das Personal von RWE und Bayernwerk. Dieses wurde in Kahl geschult um in den späteren Großkernkraftwerken der Unternehmen zu Arbeiten.[2]

Stillegung und Rückbau

Kuppel ohne die gelbe Fassade

Am 26. November 1985 ging die Anlage nach etwas mehr als 25 Jahren Betrieb vom Netz,[3] da die Wirtschaftlichkeit katastrophal war.[1] Im Jahr 1988 wurde mit dem Rückbau der Anlage begonnen. Nach ursprünglichen Plänen sollte die Anlage bis 2007 zur grünen Wiese rückgebaut sein.[5] Bis 2006 wurde das Reaktorgebäude vollständig abgerissen.[6] Die restlichen Nebengebäude wurden bis Juni 2010 abgerissen.

Technische Details

Das Versuchsatomkraftwerk Kahl besaß einen Siedewasserreaktor mit einer elektrischen Bruttoleistung von 16 MW, wobei die Nettoleistung bei 13 MW lag.[3]Die thermische Leistung lag bei 60,4 MW. Der Wirkungsgrad der Anlage lag bei 27,3 %. Der im Reaktor erzeugte Dampf hatte eine Temperatur von rund 286 °C bei einem Druck von 71 Atmosphären. Dieser wurde an Dampferzeuger weitergeleitet, die die Wärme an einen sekundären Kreislauf weitergaben, konstruktionstechnisch einzigartig in einem deutschen Kernkraftwerk mit Siedewasserreaktor. Von dort wurde der Sattdampf mit 257 °C bei einem Druck von 45 Atmosphären weiter an die Turbine geleitet. Der sekundäre Kreislauf wurde aufgrund der Vermeidung von Konflikten bei der Genehmigung des Werkes eingebaut. Der Reaktor wurde mit einer Naturumlaufkühlung gekühlt. Die Anlage wurde allerdings so konstruiert, dass eine spätere Leistungserhöhung auf 30 MW möglich war, was allerdings nie genutzt wurde. Dafür musste der Sicherheitsbehälter groß genug ausgelegt werden, um weitere Pumpen für einen Zwangsumlauf zu installieren, sowie Platz für die Installation weiterer Dampferzeuger bieten. Außerdem wäre ein Umbau des Reaktorkerns nötig gewesen. Die Hauptkühlwasserleitungen wurden allerdings bereits für 30 MW ausgelegt.[2]

Daten des Reaktorblocks

Reaktorblock[3]
(Zum Ausklappen Block anklicken)
Reaktortyp Leistung Baubeginn Netzsyn-
chronisation
Kommer-
zieller Betrieb
Stilllegung
Typ Baulinie Netto Brutto

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i Thomas Schlemmer, Hans Woller: Die Erschließung des Landes: 1949 bis 1973; Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte In: Band 1 von Bayern im Bund, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2001 ISBN 3486565761
  2. a b c d e f g h Wolfgang D. Müller: Auf der Suche nach dem Erfolg - Die sechziger Jahre - Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik Deuschland Band II. In: Schäffer Poeschel, Stuttgart 1996ISBN 3820210296
  3. a b c d e f Power Reactor Information System der IAEA: „Germany, Federal Republic of: Nuclear Power Reactors“ (englisch)
  4. a b c d e Reimar Paul: Der gefährliche Traum: Atomkraft: nach Tschernobyl: notwendiges Basiswissen, Daten über Sicherheitsrisiken, Steckbriefe aller deutschen AKWs, Folgen von Tschernobyl und Harrisburg für Mensch und Umwelt; mit kleinem Lexikon der Atom-Energie. In: Eichborn, Frankfurt am Main, 1986 ISBN 3821811102
  5. Volker Wasgindt u.a.: Jahresbericht 2005. In: Kernenergie in Deutschland. 2005, ISSN 1611-9592
  6. Volker Wasgindt u.a.: Jahresbericht 2006. In: Kernenergie in Deutschland. 2005, ISSN 1611-9592
  7. Nuclear Engineering International: 2011 World Nuclear Industry Handbook, 2011.
  8. International Atomic Energy Agency: Operating Experience with Nuclear Power Stations in Member States. Abrufen.

Siehe auch

Icon NuclearPowerPlant-green.svg Portal Kernkraftwerk