Herzlich willkommen in der Nucleopedia! Hierbei handelt es sich um eine freie Enzyklopädie, die sich auf den Bereich der Kernenergie spezialisiert hat. Die Inhalte sind frei verfügbar und unter Lizenz frei verwendbar. Auch Sie können zum Inhalt jederzeit beitragen, indem Sie als Benutzer den Seiteninhalt verbessern, erweitern oder neue Artikel erstellen.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung an dem Projekt!

Benutzerkonto beantragen  Benutzerkonto erstellen

Radioaktivität

Aus Nucleopedia
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Nebelkammer mit Teilchenspuren

Radioaktivität ist die Eigenschaft eines Nuklids, unter Energieabgabe seinen Zustand zu ändern. Ein solches Nuklid wird auch als Radionuklid bezeichnet. Es werden verschiedene Zustandsänderungen unterschieden, die sich in den fortgeschleuderten Teilchen unterscheiden, welche aufgrund des Welle-Teilchen-Dualismus ebenfalls als Welle, und damit als radioaktive Strahlung angesehen werden können. Die Radioaktivität eines Radionuklids wird in Becquerel [Bq] gemessen, was einer Zustandsänderung pro Sekunde entspricht.[1] Die Angst vor Radioaktivität wird als Radiophobie bezeichnet. Ist ein Lebewesen oder Gerät Radioaktivität ausgesetzt, wird von Strahlenexposition gesprochen.

Geschichte der Entdeckung

Am 20. Januar 1896 hielt der Universalgelehrte Henri Poincaré in der französischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag über den damaligen Stand der Physik und Chemie. Dabei berichtete er auch von den Strahlen, welche Wilhelm Conrad Röntgen elf Wochen vorher entdeckt hatte. Poincaré informierte sein Auditorium auch über die Apparate und Versuche, die Röntgen zu seiner Entdeckung geführt hatten. Akademiemitglied Henri Becquerel, Professor der Physik an der École polytechnique de Paris, war ebenfalls anwesend. Becquerel hatte sich seit Jahren mit Fluoreszenz beschäftigt und deren Auftreten unter verschiedenen Bedingungen an zahlreichen Kristallen studiert. Henri Poincaré wies in seinem Vortrage darauf hin, daß die Röntgenstrahlung von der Stelle der Wand in der Geisslerröhre ausging, auf welche die Kathodenstrahlen trafen. Dabei zeigte diese Stelle eine gelbgrüne Fluoreszenz.[2]

Becquerel begann nun zu untersuchen, inwiefern Strahlung und Fluoreszenz zusammenhängen. Er wählte einen Kristall aus Kaliumuranylsulfat, welcher bei Bestrahlung mit ultraviolettem Licht eine gelbgrüne Fluoreszenz zeigte, ähnlich derjenigen der Wand des Geisslerrohres bei der Entstehung der Röntgenstrahlen. Becquerel legte den Kristall auf eine in schwarzes Papier eingehüllte Photoplatte und setzte die Kombination einige Stunden dem Sonnenlicht aus. Nach der Entwicklung zeigte die Platte, an der Stelle wo der Kristall gelegen hatte eine Schwärzung. Becquerels Idee schien bestätigt: Offenbar war eine Strahlung vom Kristall ausgegangen, der durch die Sonnenstrahlen angeregt wurde. Diese Strahlung durchdrang ähnlich wie die Röntgenstrahlen Papier, aber auch dünne Glasplatten und Aluminiumbleche, welche zwischen Platte und Kristall gelegt worden waren. Durch diese Zwischenlagen konnte er beweisen, daß die Schwärzung der photographischen Schicht tatsächlich durch die durchdringende Strahlung, und nicht etwa durch chemische Einflüsse des Kristalls auf die Platte verursacht worden war. Am 24. Februar 1896 veröffentliche Becquerel seine Entdeckung.[2][3][A]

Wenige Tage später kam es zu einem denkwürdigen Ereignis: Nachdem er achtlos eine Fotoplatte auf einige Präparate gelegt hatte, bemerkte er am 1. März 1896, dass die Platte geschwärzt wurde, obwohl zuvor kein Sonnenlicht einfallen konnte, das den Kristall zur Phosphoreszenz hätte anregen können. Somit musste die energiereiche Strahlung vom Kristall selbst ausgehen. Weiters fand er heraus, dass im ultravioletten Licht fluoreszierende Stoffe wie zB Zinksulfid oder Calciumsulfid die Fotoplatte nicht schwärzen konnten, weder bei Belichtung, noch im Dunkeln. Die Schwärzung der photographischen Schicht fand nur mit Uranverbindungen statt, hier aber bei allen solchen. Die neue, von ihm entdeckte „Becquerelstrahlung“, wie sie damals genannt wurde, war eine besondere Eigenschaft des Urans und seiner chemischen Verbindungen. Becquerel entdeckte 1896 dass diese Strahlen die Luft elektrisch leitend machen. Er wies auch nach, dass ein starker Magnet die Strahlung ablenken konnte.[2]

Pierre und Marie Curie im Labor, 1904

Zu dieser Zeit war Marie Curie gerade auf der Suche nach einem Thema für ihre Doktorarbeit. Sie beschloss, die Ionisationsfähigkeit der von Uransalzen ausgehenden Strahlung zu bestimmen. Hierzu war eine neue Meßmethode erforderlich, da die Schwärzung einer Photoplatte zur Mengenmessung ungenügend ist. Mit Hilfe ihres Schwagers Jacques Curie bauten sie ein Elektroskop, um die von Strahlen verursachte Änderung der elektrischen Leitfähigkeit der Luft sehr genau messen zu können. Da Uran das höchste Atomgewicht der damals bekannten Elemente aufwies war es naheliegend zu untersuchen, ob auch andere Elemente mit hohem Atomgewicht diese Strahlungen aussenden. Am 12. April 1898 veröffentlichte sie ihre Entdeckung, dass auch das Element Thorium Strahlungen aussendet. Dieselbe Entdeckung machte eine Woche früher, am 4. April 1898, auch Gerhard Carl Schmidt. Die systematische Durchmusterung aller ihr zugänglichen Mineralien zeigte Curie sehr bald, dass Strahlung nur vorhanden war, wenn die Kristalle entweder Uran oder Thorium enthielten. Sie fand heraus, dass die Intensität der Strahlung und damit die „Aktivität“ des Präparates umso höher war, je mehr Uran und Thorium in diesen Mineralien vorhanden war. Marie Curie folgerte daraus, dass die „Becquerelstrahlung“ eine Eigenschaft bestimmter Atome und keine chemische Eigenschaft der untersuchten Verbindung sei. Alle Mineralien, mit Ausnahme des Monazits, das Thorium aber nur in relativ geringen Mengungen enthält, ergaben bei den Messungen gut zwei bis fast viermal höhere elektrische Ströme im Elektroskop als das reine Uranoxid. Sogar eingedampfte Lösungen der Mineralien, aus denen das Uran durch Fällung abgetrennt worden war, zeigten noch erhebliche Aktivität. Curie zog aus diesen Ergebnissen den Schluss, dass in den untersuchten Mineralien noch mindestens ein weiteres strahlendes Element vorhanden sein mußte. Aus diesem Grund trennte sie die untersuchten Uranerze nach den bekannten Regeln der analytischen Chemie in ihre Bestandteile. Es zeigte sich sehr bald, daß einzelne Fraktionen Strahlungen emittierten, während andere praktisch inaktiv blieben. Die Intensität der Aktivität, die nun vom Ehepaar Curie die Bezeichnung Radioaktivität erhielt, diente als Wegweiser für das weitere chemisch-analytische Vorgehen: Die Fraktionen mit der höchsten Aktivität wurden weiter in ihre Komponenten zerlegt. Nach mehreren Trennungen wurde schließlich ein neues Element mit ungewöhnlich hoher Aktivität gefunden. Zu Ehren der Heimat von Marie Curie wurde es Polonium genannt. Es folgte die Entdeckung des Radiums, was wesentlich aufwändiger war. Mittlerweile waren die Curies und ihre Radioaktivität international bekannt. Im Jahre 1903 wurde beiden zusammen mit Henri Becquerel der Nobelpreis für Physik zugesprochen.[2]

Geiger und Rutherford, 1905

Während ihrer Versuche beobachteten Marie und Pierre Curie, dass alle Gegenstände, die sich in der Nähe von radiumhaltigen Substanzen befanden, selbst radioaktiv wurden. Messungen der Radioaktivität 1903 ergaben ein zeitliches Auf- und Absteigen der induzierten Aktivität. Die Radioaktivität ließ sich durch die Behandlung der Gegenstände mit Mineralsäuren ablösen und fand sich dann in der Lösung wieder. Die induzierte Radioaktivität erhielt deshalb die Bezeichnung aktiver Niederschlag. Ernest Rutherford stellte fest, daß der Niederschlag aus der zeitlichen Abfolge von drei verschiedenen Stoffen besteht, die nacheinander entstehen. Dabei entdeckte er auch einen aktiven Niederschlag, der durch Thorium verursacht wurde. Hans Geiger und Rutherford fanden 1910, dass die Strahlung des reinen Urans aus zwei Komponenten besteht, woraus beide folgerten, dass Uran aus zwei Isotopen bestehen müsse.[2]

Meitner und Hahn, 1913

Die Untersuchung des Wismuth-Isotops aus dem aktiven Niederschlag des Radiums durch Otto Hahn und Lise Meitner ergab 1909 die Uneinheitlichkeit dieser Substanz. Es konnte darin ein Polonium- und ein Thallium-Isotop nachgewiesen werden. Die oben exemplarisch angeführten Untersuchungen zeigten zusammen mit anderen, dass die Strahlen nicht einheitlicher Natur waren. So wies Pierre Curie bereits 1900 nach, dass Polonium die Luft nur auf etwa 3 cm ionisieren konnte, während ein Radiumpräparat das Elektroskop auf größere Abstände entlud. Schon im Jahre zuvor hatte Rutherford die unterschiedliche Durchdringungsfähigkeit der Strahlen nachgewiesen. So wurden manche schon durch dünne Stoffschichten abgehalten, während andere auch dicke Schichten schwerer Stoffe durchdringen konnten. Auch Versuche, die Strahlen in einem magnetischen Feld abzulenken, führten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ernest Rutherford, der zu dieser Zeit in der McGill University in Montreal arbeitete, und Paul Villard in Paris, unterschieden die Strahlung in drei Typen:[2]

  • Positiv geladene Partikel von der Größe der Heliumatome, die wenig ablenkbar sind im magnetischen Feld.
  • Elektronen, die relativ stark im magnetischen Feld ablenkbar sind.
  • Strahlen die sich als unablenkbar erwiesen und keine Ladung tragen.

Rutherford vergab die griechischen Buchstaben α, β und γ für die drei Strahlenarten, was den Strahlen bis heute ihre Namen gab. Das Problem, woher die Strahlung ihre Energie nahm, war aber weiterhin nicht gelöst. Pierre Curie und Albert Laborde entdeckten z.B. bereits 1903, dass Radiumsalze stets wärmer sind als ihre Umgebung, ohne dass irgendwelche Änderungen an den Salzen festgestellt werden konnten. Im selben Jahr fanden William Ramsay und Frederick Soddy, dass in eine Geisslerröhre eingeschlossenes Radon nach einiger Zeit zu Helium geworden war.[2] 1907 stelle Rutherford fest, dass die Aktivität eines Radionuklids in gleichen Zeiträumen um den gleichen Faktor abnimmt, also durch eine Halbwertszeit beschrieben werden kann. 

Zur Erklärung wurden zwei Theorien aufgestellt, von denen eine bald wieder verworfen werden musste. Diese besagte, dass radioaktive Stoffe die Fähigkeit hätten, Energie aus der Umgebung aufzunehmen. William Crookes vermutete es sei in Form von Wärme, während Marie Curie auf unbekannte Strahlung spekulierte. Die Atome könnten diese Energie dann wieder in der Form ihrer Strahlungen abgeben. Diese Theorie wurde experimentell wiederlegt, und widerspricht dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.[B] Die andere Theorie besagte, dass die schweren Atome eine Art potentieller Energie besäßen, die sie durch diese Strahlung abgeben könnten. Welcher Art aber diese "potentielle Energie" der Atome ist, konnte erst später aufgeklärt und verstanden werden.[2]

Bei der Untersuchung der β-Strahlen wurde festgestellt, dass die Energieverteilung kontinuierlich ist. Die Energie der ausgesendeten Teilchen lag kontinuierlich zwischen einem minimalen und maximalen Wert. Da atomare Prozesse genau definierbare Energieumsätze haben, ergab sich ein Verständnisproblem. Zur Erklärung der kontinuierlichen Energieverteilung schlug Wolfgang Pauli 1931 eine sehr einfache Lösung vor: Er postulierte die Existenz eines neutralen Teilchens mit der Masse eines Elektrons. Die kinetische Energie aus diesem Teilchen, und dem Elektron des β-Zerfalls sollten dann den fixen Betrag liefern, den der atomare Prozess freisetzt. Die Energie kann sich dann beliebig zwischen beiden Teilchen aufteilen, sodass das beobachtete Energiespektum der Elektronemission von nahe Null bis Maximum erklärt werden könne. Das neutrale Teilchen wurde von Pauli Neutrino genannt. Auf diese Idee Paulis baute Enrico Fermi 1934 seine Theorie des β-Zerfalls. Da das Neutrino ungeladen ist, kann es nicht ionisieren, und da es auch sehr leicht ist, hat ein Stoß kaum messbare Wirkung. Ein direkter Nachweis dieses Teilchens war daher äußerst schwierig und ist erst Jahrzehnte später möglich geworden.[2]

Paul Dirac trat 1930 mit folgender Überlegung an die Fachöffentlichkeit: Wenn das Elektron und seine Masse die offenbar kleinste existierende Ladung und Masse wäre, dann müsste beim Abgang eines Elektrons im Atomkern eine entgegengesetzte, positive Ladung gleichen Ausmaßes gebildet werden, um das Ladungsgleichgewicht zu wahren. Neben diesem Antielektron müsste auch ein Gegenstück zum positiven Kernbestandteil existieren, ein negatives Antiproton. Bereits drei Jahre später hatte Carl David Anderson beim Durchgang kosmischer Strahlung durch Metallplatten in seiner Nebelkammer die Spuren von Teilchen entdeckt, deren Ablenkung im Magnetfeld derjenigen von Elektronen entgegengesetzt war. Diese Teilchen von Elektronenmasse, aber positiver Ladung, erhielten die Bezeichnung Positronen.[2]

Bei der Untersuchung der kontinuierlichen Energieverteilung von β-Strahlen fiel Adolf von Baeyer und Otto Hahn 1911 auf, dass es Gruppen von Elektronen gab, die beim radioaktiven Zerfall emittiert wurden, und praktisch gleiche Energie besaßen. Versuche, unter anderem von Meitner und Rutherford, zeigten, dass mit γ-Strahlen beschossenes Blei dieselben monoenergetischen Elektronen aussendete wie Blei-214. Damit war klar, dass diese Elektronen nicht aus dem Atomkern stammen konnten. Meitner konnte durch nachfolgende Experimente zeigen, dass ein γ-Strahl aus dem Atomkern durch die Elektronenhülle absorbiert wird, was zur Emission eines Elektrons führt. Dieser Vorgang wird heute als Innere Konversion bezeichnet.[4]

Der italienische Physiker Gian-Carlo Wick postulierte 1934, das Atomkerne ein Elektron aus ihrer inneren Schale absorbieren könnten. Hideki Yukawa und andere arbeiteten die Theorie aus, wonach dabei ein Proton des Kerns in ein Neutron verwandelt würde, und dabei ein Elektronneutrino freigesetzt würde. Der Elektroneneinfang wurde 1937 von Luis Alvarez an Vanadium-48 beobachtet, und in der Fachzeitschrift Physical Review veröffentlicht.[5]

Die Möglichkeit einer spontanen Spaltung von Uran wurde zum ersten Mal im Jahre 1939 von Niels Bohr und John Archibald Wheeler vermutet. Ein Jahr später gelang es Georgi Fljorow und Konstantin Petrschak, dieses Phänomen an natürlichem Uran nachzuweisen.[6] Da kosmische Strahlung Neutronen erzeugen kann, die Spaltungen auslösen, war es schwer zwischen induzierten und spontanen Spaltungen zu unterscheiden. Zur Abschirmung vor kosmischen Strahlen führten Fljorow und Petrschak ihre Uranexperimente in der Ubahn-Station Dinamo der Moskauer Metro durch.

Die letzte Zerfallsart die entdeckt wurde war der Clusterzerfall. Dabei wird ein Atomkern emittiert, der schwerer ist als ein Alpha-Teilchen. Er wurde von Aureliu Săndulescu, Dorin N. Poenaru und Walter Greiner 1980 theoretisch vorhergesagt.[7] H. J. Rose und G. A. Jones erbrachten 1983 an der University of Oxford den ersten experimentellen Nachweis, der Anfang 1984 in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde.[8]

Physikalische Grundlagen

Atomkerne bestehen, oberflächlich betrachtet, aus Protonen und Neutronen. Da die Protonen positiv geladen sind, stoßen sich diese ab, werden aber wie die Neutronen durch die Kernkraft im Atomkern zusammengehalten. Nähert sich nun ein Neutron dem Kern, kann es problemlos in diesen eindringen und dort seine Energie abgeben. Bei einem Proton muss erst das Coulomb-Potential der abstoßenden positiven Ladungskräfte überwunden werden, bevor das Proton im Kern aufgenommen werden kann. Dies ist an den folgenden Grafiken dargestellt, links für das Neutron, rechts für das Proton. Die y-Achse (W) stellt den Energiebetrag dar, die x-Achse (r) den Abstand von der Kernmitte.

Potential well for a neutron de.png Potential well for a proton de.png

Die Nukleonen, also Proton oder Neutron, sind im Kern in einem Potentialtopf gefangen. Der Potentialtopf hat etwa die Form eines Rechteckpotentials, da die Reichweite der Kernkräfte sehr gering und die Kernmaterie nahezu inkompressibel ist. Nukleonen die im Kern aufgenommen wurden nehmen ein bestimmtes diskretes Energieniveau ein. Dies ist analog zu den Elektronen in der Atomhülle, die in der Schulphysik Schalen um den Atomkern bilden. Je höher ein Nukleon im Potentialtopf sitzt, desto weniger Energie ist zum Lösen aus demselben erforderlich. Die Energieniveaus der Protonen liegen wegen der Coulombkraft etwas höher als die der Neutronen, denn da sich die Protonen im Kern untereinander abstoßen, ist es leichter ein Proton aus dem Kern zu entfernen als ein Neutron.[3] Der Potentialtopf ist beispielhaft für 12C im folgenden Bild dargestellt. Die Modellierung des Atomkerns erfolgt hier aus Gründen der Einfachheit als ideales Fermi-Gas, dass eigentliche Kernschalenmodell ist komplizierter. Die linke Seite verdeutlicht dabei den Potentialtopf für die Protonen, der rechte den für die Neutronen.

12C im Potentialtopf.png

Protonen und Neutronen sind Fermionen, dass heißt sie haben einen halbzahligen Spin. Das Pauliverbot besagt, das nur ein Fermion einen durch bestimmte Werte von Quantenzahlen definierten Zustand einnehmen kann. Daher wird der Potentialtopf von unten aufgefüllt, wobei nur zwei Nukleonen auf einer Energieebene sitzen können, nämlich Spin und antiparalleler Spin („Rotation auf dem Kopf“). Da aber Protonen und Neutronen separat betrachtet werden müssen, wurde der Isospin eingeführt. Durch Experimente konnte Werner Heisenberg 1932 folgern, dass Proton und Neutron zwei verschiedene Ladungszustände ein und desselben Teilchens, des Nukleons, sind. Beide verhalten sich bezüglich der Kernkraft praktisch gleich. Zur Unterscheidung wurde von Heisenberg der Isospin um die z-Komponente eingeführt, mit +1/2 für das Proton, und -1/2 für das Neutron. Somit ergeben sich für beide Nukleonen zwei Plätze pro Energieniveau.[3] Da man durch Experimente inzwischen die Masse von Protonen und Neutronen kannte, ergab sich ein Massendefekt bei der Summation der Bestandteile des Kerns. Am Beispiel von 12C mit 6 Neutronen und 6 Protonen berechnet:[2]

6 p = 6 × 1,007277u = 6,043662u
6 n = 6 × 1,008665u = 6,051990u
= 12,095652u

Erwartet wurden aber durch Messungen an 12C-Kernen 12u. Heisenberg kam auf die Idee, da Masse und Energie nach der einsteinschen Formel E = m c2 dasselbe sind, den Massendefekt als Energie zu verstehen: E = (12,095652u - 12u) c2 = 89,2 MeV. Dieser Massendefekt wird als Bindungsenergie der Atome verstanden. Teilt man nun die Bindungsenergie durch die Nukleonenzahl, erhält man 7,43 MeV pro Neutron bzw Proton. In der Praxis stellt sich heraus, dass die Bindungsenergie eines beliebigen Atomkerns bei 7−9 MeV pro Nukleon liegt. Schwerere Kerne enthalten mehr Protonen, welche sich durch ihr Coulomb-Potential gegenseitig abstoßen. Dadurch werden die abstoßenden Kräfte schließlich so groß, dass die Kernkraft zu schwach wird, um bei gleicher Protonen- und Neutronenzahl den Kern stabil zu halten. Schwere Kerne benötigen deshalb einen Überschuss an ladungslosen Neutronen, sodass sich wieder eine stabile Konfiguration ergibt.[2] Dies wird an der Nuklidkarte im rechten Bild deutlich. Ab einer Protonenzahl Z von 20 (Calcium) wird ein Neutronenüberschuss benötigt.

Atomkernbindungsenergien pro Nukleon Hippler 2016.png Isotopentabelle Segre.svg

Die Bindungsenergie pro Nukleon ist im linken Bild dargestellt. Diese Bindungsenergie ist die Energiemenge, die aufgewandt werden muss, um den Atomkern in seine Nukleonen zu zerlegen. Umgekehrt wird eine ebenso große Energie frei, wenn sich Nukleonen zu einem Kern vereinigen. Die maximale Bindungsenergie pro Nukleon wird im Bereich von 56Fe und 62Ni erreicht. Leichtere Kerne haben einen größeren Teil ihrer Nukleonen an der Oberfläche, wo sie weniger Nachbarn zum Pionen-Austausch haben. Bei schweren Kernen überwiegt die abstoßende Coulombkraft aller Protonen mit ihrer großen Reichweite die Kernkraft der nächsten Nachbarn. Daher kann im Gebiet der leichten Kerne durch Kernfusion, im Gebiet der schweren Kerne durch Kernspaltung Energie gewonnen werden. Entsprechend treten radioaktive Zerfälle nur auf, wenn das System dabei Energie abgeben kann, der erreichte neue Zustand also weniger Energie enthält als der ursprüngliche.

Wann diese radioaktiven Zerfälle auftreten, ist zufällig. Durch Experimente wurde festgestellt, dass die Zahl der ursprunglich vorhandenen Kerne mit fortschreitender Zeit abnimmt. Die Halbwertszeit eines Radionuklids gibt deshalb an, in welcher Zeit sich jeweils die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Nuklide in andere Nuklide umgewandelt haben.[3]

Zustandsänderungen

Umwandlung von Nukleonen

Nach den Kenntnissen der Physik bestehen Nukleonen, also Protonen und Neutronen, aus je drei Quarks. Diese Quarks sind entweder Up- oder Down-Quarks, nach dem positiven oder negativen Isospin benannt. Ein Neutron besteht beispielweise aus Up-Down-Down, ein Proton aus Up-Up-Down. Wandelt sich nun ein Down-Quark durch die schwache Wechselwirkung in ein Up-Quark um, so wird aus dem Neutron ein Proton, was sich als Beta-Minus-Emission beobachten lässt. Im umgekehrten Fall, wenn sich ein Up-Quark in ein Down-Quark umwandelt und aus dem Proton ein Neutron wird, wird eine Beta-Plus-Emission beobachtet. Die Bezeichnung „Beta-Zerfall“ ist also historisch zu verstehen.[3] Wie im obigen Diagramm Neutronenzahl N über Protonenzahl Z zu sehen, gibt es nur eine dünne schwarze Linie stabiler Nuklide. Alle Nuklide über oder unter der Line streben durch Quarkumwandlung an, diese zu erreichen. Nur in Extremsituationen (hoher Protonen- bzw Neutronenüberschuss, schwerer Kern) tritt der Zerfall durch Tunnelung in den Vordergrund.

Beta-Minus-Emission

Die Beta-Minus-Emission ist der umgekehrte Fall zur Beta-Plus-Emission. Ein Neutron des Kerns wandelt sich in ein Proton um und sendet dabei ein Elektron sowie ein Elektronantineutrino aus. Beide Teilchen können den Atomkern verlassen da sie Leptonen sind und somit nicht von der Kernkraft des Potentialtopfes beeinflusst werden. Am Beispiel 14C formuliert und grafisch dargestellt: .

14C im Potentialtopf.png 14C zerfall 14N.png

Beta-Plus-Emission

Die Beta-Plus-Emission ist der umgekehrte Fall zur Beta-Minus-Emission. Ein Proton des Kerns wandelt sich in ein Neutron um und sendet dabei ein Positron sowie ein Elektronneutrino aus. Beide Teilchen können den Atomkern verlassen da sie Leptonen sind und somit nicht von der Kernkraft des Potentialtopfes beeinflusst werden. Am Beispiel 11C formuliert und grafisch dargestellt: .

11C im Potentialtopf.png 11C zerfall 11b.png

Elektroneneinfang

Beim Elektroneneinfang wird ein Elektron aus einer kernnahen Elektronenschale eingefangen, um im Atomkern ein Proton in ein Neutron umzuwandeln. Dabei wird ein Elektronneutrino erzeugt, dass als farbladungsloses Lepton nicht von der Kernkraft beeinflusst wird, und den Potentialtopf verlässt. Am Beispiel 11C formuliert und grafisch dargestellt: .

11C im Potentialtopf.png 11C elektroneneinfang 11b.png

Zerfall durch Tunnelung

Beim Zerfall durch Tunnelung verlassen Nukleonen den Kern mit Hilfe des Tunneleffekts. Innerhalb des Kerns können sich mit gewisser Wahrscheinlichkeit mehrere Nukleonen zusammenfinden und einen gebundenen Zustand bilden. Dabei wird Bindungsenergie frei, um es auf einen Zustand höherer Energie zu heben, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das gebildete Teilchen die Coulombbarriere des Restkerns durchtunnelt. Die Wahrscheinlichkeit dafür bestimmt die Halbwertszeit des Zerfalls.[3] Bei schweren Kernen kann man noch annehmen, dass der Kern nicht sphärisch ist, sondern zu einem Ellipsoid deformiert ist. Dies begünstigt Clusterzerfall und Spontanspaltung.[9] Der Zerfall durch Tunnelung tritt in der Regel nur in Extremsituationen bei Nukliden mit hohem Protonen- bzw Neutronenüberschuss oder schweren Kernen auf. Alle anderen instabilen Kerne streben durch Quarkumwandlung stabile Zustände an.

Alpha-Emission

Der Alpha-Zerfall beschreibt, dass ein Heliumkern He+ aus dem Restkern tunnelt. Die Emission von Alphateilchen ist tatsächlich häufig. Da He+ ein doppelt magischer Kern ist, wird eine entsprechend große Bindungsenergie frei, was die Wahrscheinlichkeit einer α-Emission begünstigt.[3]

Alpha Bildung.png Tunneleffekt alpha zerfall.svg

Protonen-Emission

Branching decay Co-53m.svg

Die Protonenemission ist ein sehr seltenes Phänomen, bei dem sich ein Atomkern unter Emission eines Protons in das Element mit der nächst niederen Ordnungszahl umwandelt. Eine Protonenemission tritt nur bei Nukliden auf, die einen hohen Protonenüberschuss haben. Aufgrund dieses Überschusses können die Protonen nur noch sehr schlecht durch die Kernkraft gebunden werden. Die Bindungsenergie sinkt sogar so stark ab, dass Protonen den Kern durch tunneln verlassen können. Solche protonenreichen Kerne entledigen sich ihres Überschusses zwar meist durch eine β+-Emission, also eine Quarkumwandlung, doch in seltenen Fällen kann stattdessen ein Proton emittiert werden. Dies ist im Bild rechts am Beispiel des metastabilen Cobalt-Isotops 53mCo dargestellt. Die Halbwertszeiten von p-Emittern sind sehr kurz.[9][10]

Neutronen-Emission

Die Neutronenemission ist ein sehr seltenes Phänomen, bei dem ein Atomkern unter Emission eines einzelnen Neutrons zerfällt. Eine Neutronenemission tritt nur bei Nukliden auf, die einen hohen Neutronenüberschuss haben. Die meisten Neutronenemitter sind Spaltprodukte nach spontaner oder induzierter Kernspaltung, mit Massenzahlen zwischen 80–100 sowie 130–140. Die Halbwertszeiten von n-Emittern sind sehr kurz.[9]

Clusterzerfall

Wie bereits oben erwähnt, können sich innerhalb des Kerns mit gewisser Wahrscheinlichkeit Nukleonen zusammenfinden und einen Cluster (dh Haufen) bilden. Dies ist umso wahrscheinlicher, wenn die Cluster magische Kerne sind. Die Austunnelung dieser Kombinationen aus Protonen und Neutronen wie 14C ist aber weniger wahrscheinlich, als andere Emissionen und Zerfälle.[9]

Spontanspaltung

Im Gegensatz zum Clusterzerfall entstehen bei der spontanen Spaltung eines schweren Atomkerns zwei Fragmente mit Massen der gleichen Größenordnung. Während beim Clusterzerfall der emittierte Kern präzise benannt werden kann, hat die Spontanspaltung eine Wahrscheinlichkeitsverteilung von Tochterprodukten. Dabei bilden sich im deformierten Kern zwei Tochternuklide. Unter der Annahme diese wären sphärisch und würden sich gerade berühren, ist die abstoßende Coulombkraft zwischen beiden Kernhälften nicht hoch genug, um die Potentialbarriere zu überwinden. Deshalb kann die spontane Spaltung nur durch das Tunneln durch die Potentialbarriere stattfinden — wie beim α-Zerfall. Da durch den Tunneleffekt verursacht, sind die Halbwertszeiten je nach der Energiedifferenz und damit Tunnelwahrscheinlichkeit sehr unterschiedlich.[3][11]

Abregung des Kerns

Atomkerne können sich nach radioaktiven Transformationen in einem angeregten Zustand befinden. Beim Übergang in einen energieärmeren Zustand gibt der Kern die frei werdende Energie in Form eines Photons ab, dessen Symbol ein Gamma γ ist. Der angeregte Zustand kann auch durch die vorherige Absorption eines energiereicheren Photons entstanden sein.[1] Bildlich gesprochen fallen die Nukleonen tiefer in den Potentialtopf, auf ihr niedrigstes noch freies diskretes Energieniveau.

Gamma-Emission

Die sogannte Gammastrahlung ist die einfachste Art der Abregung. Nach der Umwandlung, hier am Beispiel eines Protons, befindet sich dieses noch auf einem höheren Energieniveau. Schließlich fällt es unter Aussendung eines Photons an seine energetisch günstigste Stelle. Das Photon kann den Atomkern verlassen, da es nicht von der Kernkraft des Potentialtopfes beeinflusst werden kann.

Energieniveau ni60 pre.PNG Energieniveau ni60 aft.PNG

Innere Konversion

Bei der inneren Konversion wird die Energie der Abregung durch direkte elektromagnetische Wechselwirkung von einem Hüllenelektron absorbiert. Bildlich gesprochen kommt es zur Kollision des abgestrahlten Photons mit einem Elektron der unteren Hülle, wodurch das Elektron die Energie des Photons aufnimmt und aus der Bahn geschleudert wird. Elektronen aus höheren Orbitalen fallen nun auf das tiefere Orbital herab, um die Lücke zu füllen, wobei wieder ein Photon frei wird. Das Atom bleibt als positiv geladenes Ion zurück. In diesem Fall wird nicht von β--Emission gesprochen, da das Elektronneutrino fehlt.[1]

Isomerieübergang

Die Gamma-Emissionen ändern an den Nukleonenzahlen des Kerns nichts, weswegen Ausgangs- und Endprodukt auch als Isomer (gleiches Teil) bezeichnet wird. Manche Nuklide können diesen Zustand ungewöhnlich lange halten, diese Isomere werden als metastabil bezeichnet, und die Nukleonenzahl ist mit einem m versehen. In diesem Fall ist nicht mehr von Gamma-Emission die Rede, sondern von Isomerieübergang, wobei der Vorgang derselbe ist. Bekanntes Beispiel ist Technetium-99m aus der Nuklearmedizin:[1]

Zitat

„Wir alle wissen, daß ein mäßiger Genuß von Alkohol nicht gesundheitsgefährdend ist. Ähnlich verhält es sich mit der Radioaktivität.“
– Ernst Albrecht (CDU), niedersächsischer Ministerpräsident[12]


„Immer wieder wird von den verderbenbringenden, furchterregenden oder gar tödlichen Atomstrahlen gesprochen. Das ist ungerecht. Jemand, der zum Frühstück zehn Eier is[s]t statt eines, wird sich den Magen verderben. Und jemand, der statt einer Schlaftablette deren hundert schluckt, wird wahrscheinlich sterben. Jede Überdosierung ist für den lebendigen Organismus schädlich. Aber im rechten Verhältnis angewendet, ist auch die Radioaktivität heute schon ein wichtiger Helfer der Menschheit.“
– Robert Gerwin, Das neue Universum, 1955[13]

Weblinks

Anmerkungen

A. - Daher mag vermutlich der Glaube mancher Esoteriker kommen, man könne Kristalle an der Sonne "aufladen", damit diese ihre "Energie" wieder an einem stillen Örtchen abgeben. Esoterik war um die Jahrhundertwende sehr populär.
B. - Der Gedanke, es gäbe unentdeckte Strahlen, "Raumenergie" oder so etwas ist auch heute noch in der Esoterik populär. In der Regel dient das postulieren einer solchen "Energie" dazu, Wunderkraftwerke (Perpetuum mobile) zu erläutern oder zu rechtfertigen. Wenig überraschend verstoßen diese ebenfalls gegen den 2. Hauptsatz der Thermodynamik. Interessanterweise wande sich William Crookes später der Esoterik (Spiritismus) zu.
C. - In einer deutschen Fußgängerzone wäre so etwas undenkbar, weil die herrschenden und meinungsgebenden Eliten dies mit aller Macht verhindern würden. Menschen könnten durch Aufklärung vom Glauben an die Ökoreligion abfallen. Allein die Ankündigung würde vermutlich wütende Proteste von zu Tode verängstigten, desinformierten Menschen bewirken.

Einzelnachweise

  1. a b c d Michael G. Stabin (2007). Radiation Protection and Dosimetry: An Introduction to Health Physics. Springer. ISBN 978-0-387-49982-6
  2. a b c d e f g h i j k l Walter Minder (1981) Geschichte def Radioaktivitat. Springer. ISBN 354-0-10954-4
  3. a b c d e f g h Bethge, Walter, Wiedeman Kernphysik – Eine Einführung Springer. ISBN 978-3-540-74567-9
  4. Joseph Hamilton (1966) Internal Conversion Processes. Academic Press. ISBN 978-0-3231-4324-0
  5. Luis W. Alvarez (1937) "Nuclear K Electron Capture". Physical Review 52. S134–135
  6. G. Scharff-Goldhaber, G. S. Klaiber (1946) "Spontaneous Emission of Neutrons from Uranium". Phys. Rev. 70 (3–4): 229–229
  7. A. Săndulescu, D. N. Poenaru, W. Greiner New type of decay of heavy nuclei intermediate between fission and a decay Soviet Journal of Particles and Nuclei. Band 11, Nummer 6, 1980, S. 528
  8. H. J. Rose, G. A. Jones A new kind of natural radioactivity Nature. Band 307, Nummer 5948, 19. Januar 1984, S. 245–247
  9. a b c d Hanno Krieger (2012). Grundlagen der Strahlungsphysik und des Strahlenschutzes. Vieweg + Teubner Verlag. ISBN 978-3-8348-1815-7
  10. Peter A. C. McPherson Principles of Nuclear Chemistry Essential Textbooks in Chemist. ISBN 178-6-34051-8
  11. Werner Stolz Radioaktivität: Grundlagen - Messung - Anwendungen Vieweg+Teubner Verlag. ISBN 351-9-53022-8
  12. SPIEGEL: Die schwarze Kasse des DGB 22/1986
  13. Robert Gerwin: Isotope – Helfer der Menschheit Das neue Universum, Band 72. Seite 403. 1955