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Endlager Tammiku

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Endlager Tammiku
Standort
Land Estland
Region Harju
Ort Saku
Estland
Estland
Koordinaten 59° 18′ 1″ N, 24° 42′ 58″ O 59° 18′ 1″ N, 24° 42′ 58″ O
Anlagendetails
Lizenzinhaber A.L.A.R.A. AS, National RWMO
Betriebsaufnahme 1963
Stilllegung 1995
Einschluss 1 (200 m3)

Das Endlager Tammiku (estnisch Tammiku Radioaktiivsete Jäätmete Matmispaik, ehemals auch Endlager Saku) befindet sich nahe der Stadt Saku, zwölf Kilometer südlich der Hauptstadt Tallinn. Die Anlage wurde zu Sowjetzeiten errichtet und diente als Endlager für die Kerntechnische Anlage Paldisku, die sich 47 Kilometer westlich der Hauptstadt befindet. Die Anlage ist besonders durch den Strahlenunfall im Jahre 1994 bekannt. Die Einlagerung wurde mittlerweile beendet und die Lagerstätte in den sicheren Einschluss überführt.

Geschichte

Mit dem Bau des Endlagers Tammiku wurde 1960 begonnen. Die Anlage wurde nach den damaligen technischen Maßstäben der Sowjetunion errichtet, eine so genannte Radon-Lageranlage. Das Lager galt als zentrale Endlagerstätte für radioaktive Abfälle aus Estland. Sie selbst besteht aus einem oberflächennahen Schacht, der für feste Abfälle benötigt wurde, ein weiterer Tank ist für flüssige Abfälle vorhanden. Mit dem eigentlichen Einlagerungsbetrieb wurde 1963 begonnen.[1] Mitte der 1980er gab es eine aufwendige Rekonstruktion der Anlage, die allerdings aufgrund von fehlenden finanziellen Mitteln nie zu Ende gebracht wurde, weshalb wichtige neue Sicherheitseinrichtungen bisher fehlten. Aufgrund der dürftigen Sicherheitslage dieser Anlage nach dem Zerfall der Sowjetunion kam es am 21. Oktober 1994 zu einem Strahlenunfall an der Anlage, als drei Brüder, 28, 25 und der Jüngste 13 Jahre alt, in den frühen Morgenstunden auf das Gelände des Endlagers eindrangen, indem sie über den 1,5 Meter hohen Zaun kletterten. Durch ihre Art des Einbruchs auf das Gelände konnten sie das Auslösen des elektrischen Alarms unterbinden. Sie entnahmen dem Endlager einen Container, der mit 137CsCäsium-137 gefüllt war, aus der ersten Reihe der Vertiefung. Beim Entwenden fiel einem der Brüder die Box aus der Hand, sodass ein 18 Zentimeter langer und 1,5 Zentimeter im Durchmesser großer Zylinder heraus fiel. Einer der Personen hob die Strahlenquelle mit der Hand auf und verpackte sie in einen Rucksack, um das Cäsium zu deren Haus in Kiisa zu transportieren. Die Brüder brachen ebenso beim Lager für flüssige radioaktive Abfälle ein und nahmen einige Aluminiumstrücke mit, die keine Strahlung aufwiesen. Einer der Brüder verletzte sich dabei am Bein. Die Aluminiumstücke wurden anschließend in ein Auto geladen und sollten als Altmetall in Tallinn verkauft werden.[2]

Auf dem Weg nach Tallin hielten die Personen in Kiisa an ihrem Zuhause an. Einer der Personen fühlte sich plötzlich krank und erbrach sich. Obwohl dieser Zustand ziemlich kritisch war wurde kein Arzt konsultiert. Im Laufe des Tages wurde die radioaktive Quelle in einer Schublade in der Küche deponiert. Am 25. Oktober wurde die sich krank fühlende Person in das Krankenhaus gebracht, mit schweren Verletzungen am Bein und an der Hüfte. Da die Person nicht das Eindringen in das Endlager zugeben wollte, sagte er, dass die Verletzung beim Arbeiten im Wald geschehen war, weshalb man von einer starken Quetschung ausging. Am zweiten November verstarb die Person aufgrund unbekannter Umstände. Zu diesem Zeitpunkt wussten die Ärzte nicht, dass eine Kontamination vorlag und möglicherweise die Ursache für den Tod war. Am achten November wurden neue Abfälle nach Tammiku gebracht bei dem die Arbeiter bemerkten, dass die Abdeckung des Lagers verschoben war. Nach einer Dosismessung wurde festgestellt, dass die Abdeckung seit der letzten Einlagerung am 30. September verschoben worden sein musste. Die Behörden wurden jedoch nicht über diese Missstände, noch über die fehlenden Aluminiumteile beim Flüssiglager informiert. Am neunten November kam einer der jüngeren Brüder bei Reparaturarbeiten an einem Fahrrad mit der Strahlenquelle in Berührung. Am 16. November verstarb der vier Monate alte Hund der Familie. Kurze Zeit zuvor erbrach er sich mehrmals und es war Blut im Urin. Der Hauptaufenthaltsort des Tieres war hauptsächlich die Küche.[2]

Am 17. November wurde der 13 Jahre alte Junge in das Krankenhaus gebracht mit Verbrennungen an der Hand. Die Ärzte identifizierten diese als strahlenbedingt und alarmierten die Polizei. Noch am selben Tag erreichte die estnische Rettungseinheit den Ort Kiisa um 23:30 Uhr und untersuchten die Umgebung des Hauses. Bereits um das Haus selbst wurde eine hohe Gammastrahlung gemessen, in einem Radius von 200 Meter um das Gebäude. Der Strahlendosis lag bei 0,4 µGy/h (3,5 mGy/a), weshalb am Morgen des 18. November die Umgebung, insgesamt 15 Häuser, evakuiert wurde. In den meisten Räumen wurde bereits eine Dosis von 50 mGy/h (438 Gy/a) gemessen, in der Küche waren es gefährliche 1,2 Gy/h (10,5 kGy/a). Um die Strahlenquelle zu beseitigen wurde eine Bleibox mit 3,5 cm starken Wänden beschaffen. In zwei Schritten erfolgte die Bergung: Ein erstes Team brachte die Strahlenquelle aus der Schublade auf den Boden des Gebäudes, um die Strahlenquelle zu identifizieren. Hierzu waren zwei Minuten und 35 Sekunden nötig. Bei einer Messung zwischen in 5 bis 7 Zentimetern Abstand wurde eine Dosis von 1,5 bis 1,8 Gy/h festgestellt. Das zweite Team brachte die Bleibox mit und sammelte die Strahlenquelle ein. Dazu hatte das Team zwei Minuten und 15 Sekunden Zeit. Einer der Personen hob anschließend die Strahlenquelle in die Box, was nicht länger als zwei Sekunden dauerte. Die Dosis in der Box betrug bei einer Messung außerhalb 100 mGy/h. Anschließend wurde das Material wieder nach Tammiku zurück gebracht und in der Mitte der neun Lagerboxen untergebracht. Das Haus wurde anschließend auf weitere Strahlenquellen untersucht und keine weiteren Feststellungen gemacht, sodass um 14:30 Uhr der Einsatz abgeschlossen und die Evakuierung aufgehoben werden konnte. Noch am gleichen Tag wurde nach weiteren radioaktiven Metallen in ganz Estland gesucht, um möglicherweise mehr radioaktive Materialien zu finden. Allerdings wurden keine weiteren Strahlenquellen identifiziert.[2]

Alle Personen des Haushaltes wurden anschließend in das Krankenhaus überwiesen und auf Strahlenschäden untersucht. Während alle anderen Personen wieder entlassen wurden, musste einer der Brüder weiterhin im Krankenhaus bleiben, da er gemäß des IAEA-Berichts weiterhin stark kontaminiert war. Am 13. Januar 1995 wurde auf der Autobahn zwischen Tallinn und Narva eine weitere Strahlenquelle aus Tammiku ausfindig gemacht. Zeitgleich bot das Endlager Studsvik Hilfe im Umgang mit radioaktiven Stoffen an, um das ehemals sowjetabhängige Land zu unterstützen. Ebenso wurde der Polizeischutz um das Endlager verbessert, sodass dieses permanent von Polizisten überwacht wird. Im Mai 1995 wurde der stark verstrahlte Junge nach Stockholm gebracht. Um seine zukünftigen Gesundheitsrisiken zu reduzieren, wurden Stammzellen aus seinem Knochenmark entnommen. Dies sollen, sofern der Junge Leukämie oder Krebsgeschwüre bekommt, für eine Stammzelltransplantation zur Verfügung stehen.[2]

Stilllegung

Im November 1995 übernahm A.L.A.R.A. AS. das Werk als Lizenznehmer. Im Jahre 1996 wurde endgültig der Betrieb der Endlagerstätte eingestellt. Im November 1996 wurde das Lager endgültig verschlossen und fest mit Betonplatten, Sand, Plastik und einer 1,2 Meter dicken Erdschicht bedeckt. Die Überdeckung ist insgesamt 1,25 Meter hoch, 17,8 Meter lang und 7,9 Meter breit. Während der gesamten Betriebszeit wurden 18.670 Strahlenquellen in Tammiku eingelagert, mit einer Aktivität von 200 Terrabecquerel. Bis Januar 2000 ist die Aktivität auf 65 Terrabecquerel gesunken. Ein kleiner Teil, insgesamt ein Kubikmeter fester Stoffe, wurde inzwischen in den Flüssigtank umgelagert, da der Stoff anfing flüssig zu werden. Die Aktivität und die Art dieser Stoffe waren unbekannt. Es wurden bisher nicht identifiziert, um welche Stoffe es sich handelte. Der flüssige radioaktive Abfall war bis Oktober 2000 vollständig abgeklungen, sodass das dominierende Radionuklide 3HWasserstoff 3 eine Aktivität von 29 Becquerel pro Liter aufwies. Daraufhin wurde der Tank entleert und die Stoffe in die Umgebung freigelassen. Bis 2001 wurde der Tank vollständig entfernt.[1] Eine dauerhafte Überwachung der Anlage ist nicht mehr nötig, da das Endlager internationalen Standards entspricht.[3]

Technische Details

Der Endlagerschacht besitzt eine Länge von 15 Metern, eine Breite von fünf Metern und eine Tiefe von drei Metern und ist in neun Abschnitte aufgeteilt, getrennt durch Betonwände. Die Lagerkapazität liegt bei 200 Kubikmeter. Das Fundament des Schachts sowie die Außenwände weisen eine Dicke von 20 Zentimetern auf. Geschlossen wird das gesamte Lager mit einem entfernbaren Deckel, der 30 Zentimeter dick ist und auf der Oberfläche sichtbar lokalisiert ist. Umzäunt ist das gesamte Gelände mit einem Zaun, der eine Länge von 500 Metern um die gesamte Anlage aufweist. Entsprechende Warnhinweise aufgrund der radioaktiven Strahlung kennzeichnen das Gebiet. Zur Überwachung sind auf dem gesamten Gelände Kameras angebracht. Die eingelagerten Abfälle stammen hauptsächlich von der Industrie, der Medizin und Forschung. Eine Kategorisierung oder KonditionierungDie Konditionierung bezeichnet die Überführung von radioaktiven Abfällen in einen chemisch stabilen, in Wasser nicht oder nur schwer löslichen Zustand. fand nicht statt.[1]

Daten der Anlage

Das Endlager Tammiku besteht aus einer Lagereinheit.

Endlager Aufbau Abfälle Lagerkapazität in m3 Status Baubeginn Inbetrieb-
nahme
Stilllegung
Vorhanden Geplant
Tammiku (Saku)[4] Betonwannen (Radon) LLW, ILW 200 200 Einschluss 1963 1995

Einzelnachweise

  1. a b c Net-Enabled Radioactive Waste Management Database der IAEA: „Radioactive waste depository in Tammiku: Background and Description“ (englisch)
  2. a b c d International Atomic Energy Agency: The radiological accident in Tammiku. International Atomic Energy Agency, 1998. Seite 10, 11, 14, 18, 19, 20, 21, 22, 23. (Online-Version)
  3. R. Ratas: Planning for environmental restoration of uranium mining and milling sites in central and eastern Europe. Ministry of the Environment, Tallinn, Estonia. (Online-Version)
  4. Net-Enabled Radioactive Waste Management Database der IAEA: „Estonia: Report Outline“ (englisch)