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Kernkraftwerk Leibstadt

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Kernkraftwerk Leibstadt

Standort
Land Schweiz
Kanton Aargau
Ort Leibstadt
Koordinaten 47° 36′ 7″ N, 8° 11′ 2″ O 47° 36′ 7″ N, 8° 11′ 2″ O
Reaktordaten
Eigentümer Kernkraftwerk Leibstadt AG
Betreiber Kernkraftwerk Leibstadt AG
Vertragsjahr 1972
Betriebsaufnahme 1984
Im Betrieb 1 (1275 MW)
Einspeisung
Eingespeiste Energie im Jahr 2010 8775 GWh
Eingespeiste Energie seit 1984 211884 GWh
Stand der Daten 30. Mai 2011
Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien Commons: Kernkraftwerk Leibstadt
Die Quellen für diese Angaben sind in der Zusatzinformation einsehbar.

Das Kernkraftwerk Leibstadt (kurz KKL) steht nahe dem gleichnamigen Ort Leibstadt in der Schweiz. Die an dem Rhein gelegene Anlage war das letzte Kernkraftwerk der Schweiz, das den Betrieb aufnahm. Die ehemals als deutsch/schweizerisches Gemeinschaftskraftwerk geplante Anlage ist das leistungsstärkste Kernkraftwerk der Schweiz. Die Entfernung zu den nächsten größeren Orten beträgt nach Dogern (Deutschland) und Leibstadt jeweils ein Kilometer, nach Waldshut-Tiengen (Deutschland) drei Kilometer, nach Baden und Bad Säckingen (Deutschland) je 15 Kilometer, nach Kloten, Zürich, Schaffhausen, Pratteln und Olten je 35 Kilometer. Die Anlage liegt direkt an der deutschen Grenze.

Geschichte

Die Anlage wurde ehemals als Gemeinschaftskernkraftwerk seitens der Elektrowatt AG Zürich und des deutschen RWE geplant. Insgesamt sollte das Gemeinschaftskernkraftwerk aus zwei Anlagen bestehen, eines im Raum Dogern bei Leibstadt und eines im Raum Waldshut auf der deutschen Seite. An jedem Standort sollte ein Kernkraftwerk entstehen, weshalb man 1965 erstmals an beiden Standorten Bodenproben nahm und mit einer Genehmigung beider Kernkraftwerke im Jahre 1966 rechnete. Allerdings plante das Badenwerk bereits zu dieser Zeit ein großes Kernkraftwerk nahe Schwörstadt, weshalb das RWE sein Projekt rheinabwärts verlegte und im Januar 1968 am Standort Biblis realisierte.[1] Grund für das Scheitern war auch die Tatsache, dass Elektrowatt sich auf einen Druckwasserreaktor mit 600 MW von Westinghouse festgelegt hatte, während das RWE eine kleinere Anlage, allerdings auch einen Druckwasserreaktor, von Siemens favorisierte.[2]

Am 15. Dezember 1969 wurde vom Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement die Standortbewilligung erteilt. Die bisher im Bau befindlichen Anlagen in der Schweiz würden rechnerisch bis zum Jahr 1976 den Energieverbrauch ohne Probleme decken können, die Prognosen gingen im Anschluss allerdings von einem starken Anstieg des Bedarfs aus. Aufgrund dessen wurde ab 1970 begonnen, das Projekt in Leibstadt anzupassen und mit einem stärkeren Reaktor mit mehr als 600 MW auszustatten.[3] Im Jahr 1970 beschloss man, einen Leichtwasserreaktor auszuwählen, bei dem hauptsächlich Schweizer Unternehmen in einem Konsortium beteiligt sein sollen. Man rechnete bis 1971 ein Konsortium gewählt zu haben. Um eventuell doch eine Partnerschaft mit deutschen Unternehmen einzugehen, wurde ein Anteil von 20 % offengehalten.[4] Neben der Aare-Tessin AG für Elektrizität und dem Aargauischen Elektrizitätswerk zeigte das Badenwerk als einziges deutsches Unternehmen Interesse an der Anlage.[5]

Ein zehnköpfiges Konsortium entschied sich 1972 unter der Leitung der Elektrowatt AG, Zürich für einen amerikanischen Siedewasserreaktor mit 900 MW Leistung, der von General Electric geliefert werden sollte, die Turbinen vom schweizer Konsortiumspartner Brown, Boverie & Cie. Die Kosten für die Anlage wurden auf 1,2 Milliarden Schweizer Franken geschätzt, etwa 316 Millionen US-Dollar.[6] Allerdings gab es durch das 1971 vom Bundesrat erlassene Bauverbot von Kraftwerken mit Flusskühlung einige Probleme, weshalb für Leibstadt nun ein 115 Meter hoher Kühlturm infrage kommen musste. Dadurch entfiel der Standortvorteil für das Kernkraftwerk Leibstadt, ebenso für das Kernkraftwerk Kaiseraugst.[7] Folglich kam nur ein Kühlturm mit einer Höhe von 144 Meter infrage, mit einem Basisdurchmesser von 120 Meter. Durch dieses geschlossene System entsteht keine Wärmebelastung für den Rhein.[8]

Bau

Mit dem Bau der Anlage wurde am 1. Januar 1974 begonnen.[9] Ein deutscher Kläger wollte gegen den Bau in der Schweiz an einem eidgenössischen Gericht klagen, dieses wies die Klage jedoch ab, da es nach eigener Aussage nicht zuständig sei. Der Kläger möge sich an den baden-württembergischen Wirtschaftsminister wenden, der Mitglied im Aufsichtsrat des Badenwerks sei, das am Kernkraftwerk Leibstadt beteiligt ist. Die Alternative wäre die Kontaktierung eines deutschen Gerichts. Daraufhin versuchte die gleiche Person, durch einen Brief an sechs Zeitungen, vier in der Schweiz und zwei in Deutschland, einen Bauabbruch zu erzwingen, mit einer Drohung, einen Bombenanschlag auf der Baustelle zu verüben. Während die deutschen Zeitungen diesen Brief aus volkspädagogischen Gründen druckten, übergaben die vier Schweizer Zeitungen den Brief an die Polizei. Der Absender konnte nicht ermittelt werden, allerdings wurde dieser später bekannt. Einen Einfluss auf die Arbeiten an dem Kernkraftwerk hatte die Drohung nicht.[10] Obwohl die Standortbewilligung bereits 1967 erteilt wurde, wurde die Baubewilligung aufgrund einer Volksbewegung verzögert, sodass diese erst im Dezember 1975 erteilt wurde, was zu einem Verschieben der Inbetriebnahme in das Jahr 1984 führte.[11] Nachdem es 1979 zum Unfall im Kernkraftwerk Three Mile Island kam, wurden umfangreiche Nachrüstungen am im Bau befindlichen Reaktor in Leibstadt vorgenommen, die durch den Bauverzug begünstigt wurden, sodass es zu keinen weiteren Verzögerungen kam.[12]

Betrieb

Dampfschwaden des Leibstadter Kühlturms
Die Anlage aus der Nähe, 2009

Am 24. Mai 1984 wurde der Block erstmals mit dem Stromnetz synchronisiert.[9] Allerdings musste der Betreiber feststellen, dass bereits zu diesem Zeitpunkt weitaus mehr Energie erzeugt wurde, als die Schweiz benötigte. Infolgedessen musste die gesamte Kapazität von Leibstadt exportiert werden, weit unter den Erzeugungskosten.[13] Weitere Probleme wurden von der deutschen Seite gemeldet, da bei Dogern die hohen Dampfschwaden des Kühlturms rund 55 Stunden am Stück ohne Sonne bescherten, für das weiter westlich gelegene Waldshut wurde die Sonne für rund 20 Stunden am Stück verdunkelt.[14] Bis 1989 spitzte sich die Lage weiter zu, da ein Gutachten behauptete, dass die Gemeinde Dogern für unfassbare 100 Stunden im Jahr 65% weniger Sonnenlicht bekam, als wetterbedingt eigentlich normal wäre. Die Gemeinde wollte deshalb Schadensersatz fordern. Ähnliche Bedenken gegen Kühltürme und ihren Auswirkungen gab es bereits 1975 im Falle des Kernkraftwerks Wyhl, bei dem sich Winzer um eine schlechtere Qualität ihrer Weine aussprachen. Im Falle der Gemeinde Dogern wollte man allerdings über finanzielle Ausgleiche verhandeln, da die Gemeinde Dogern sonst Klage eingereicht hätte.[15] Der Betreiber willigte ein und zahlte ab 1990 fortlaufend 100.000 Deutsche Mark an die Gemeinden Dogern, Albbruck und Waldshut-Tiengen, wobei die Zahlungen 1995 wieder eingestellt wurden.[16]

Im Jahre 1990 brach das Kernkraftwerk Leibstadt den Weltrekord für den ununterbrochenen Betrieb eines Siedewasserreaktors mit 327,6 Tagen. Allerdings verlor die Anlage 1994 den Titel an das Kernkraftwerk Grand Gulf, das 403 Tage mit einem baugleichen Reaktor leistete. Im Rahmen eines Brennstoffwechsels wurde das Kernkraftwerk Leibstadt am 17. Juli 1994 planmäßig vom Netz genommen. Neben dem Tausch von 112 der 648 Brennelemente wurden die drei Niederdruckturbinen umgebaut und die Leistung des Kraftwerks um 23 MW erhöht.[17] Im folgenden Jahr 1995 kam es während der Revision am 11. August zu einer Wasserstoffexplosion. Dabei wurden zwei Mitarbeiter der Firma Asea Brown Boveri (ABB) mit mittleren Verbrennungen in ein Züricher Klinikum geflogen. Der nukleare Anlagenteil war nicht betroffen.[18]

Im Jahr 1997 wurden für weitere leistungserhöhende Maßnahmen zwei Vorwärmer und die drei Niederdruckturbinen getauscht und die alten dekontaminiert.[19] Im Jahr 2000 wurde die Leistung ein weiteres Mal um zehn Prozent angehoben,[20] im Jahr 2003 nochmals. Die letzte Leistungserhöhung erfolgte im Jahr 2011.[9]

Stilllegung

Durch die Katastrophe von Fukushima im März 2011 beschloss die Schweizer Regierung am 25. Mai 2011 den Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Kernenergie. Da Leibstadt das letzte Kernkraftwerk war, dass in der Schweiz in Betrieb ging, soll die Anlage als letztes Kernkraftwerk im Jahre 2034 vom Netz gehen.[21] Grundlage für diesen Beschluss war die Energiestrategie 2050, die 2017 im Rahmen einer Volksabstimmung vom Souverän angenommen wurde. [22], [23] Die Schweiz kennt keine gesetzlich fixierten Laufzeitbeschränkungen für Kernkraftwerke. Sie können betrieben werden, solange sie sicher sind. [24]

Technische Details

Das Kernkraftwerk Leibstadt ist ausgestattet mit einem Siedewasserreaktor vom Typ BWR-6,[9] der von General Electric geliefert wurde.[6] Die elektrische Bruttoleistung liegt bei 1275 MW, von denen 1220 MW netto in das Stromnetz eingespeist werden.[9] Bei der Inbetriebnahme des Kernkraftwerks war die Turbine die größte Hochgeschwindigkeitsturbine (3000 Umdrehungen pro Minute) der Welt.[25]

Neben der Elektrizitätserzeugung wurde das Kernkraftwerk Leibstadt bereits dafür vorbereitet Fernwärme auszuspeisen, nach ersten Plänen zum Export nach Deutschland. Allerdings kommen aufgrund der geringen Wärmedichte nur wenige Gemeinden infrage, die an das Netz angeschlossen werden könnten. Auf eine Anfrage an die deutsche Bundesregierung antworteten die Abgeordneten, dass dieses Projekt sehr sorgfältig auf Wirtschaftlichkeit und finanzielle Vorteile geprüft werden müsste.[26] Als letztes wurde Anfang der 1990er ein Transitsystem vom Kernkraftwerk Leibstadt zur Stadt Basel in Betracht gezogen, genannt „WARHENO“. Allerdings wurde dieses Projekt später nicht weiterverfolgt, weshalb Leibstadt gleich wie das Kernkraftwerk Mühleberg keine Fernwärme ausspeist.[27]

Daten der Reaktorblöcke

Das Kernkraftwerk Leibstadt besteht aus einem aktiven Reaktor.

Reaktorblock[9]
(Zum Ausklappen Block anklicken)
Reaktortyp Leistung Baubeginn Netzsyn-
chronisation
Kommer-
zieller Betrieb
Stilllegung
Typ Baulinie Netto Brutto

Einzelnachweise

  1. Wolfgang D. Müller: Auf der Suche nach dem Erfolg - Die sechziger Jahre - Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik Deuschland Band II. Schäffer Poeschel, Stuttgart 1996. ISBN 3820210296.
  2. Nuclear engineering, Band 11. Temple Press, 1966.
  3. Atomwirtschaft-Atomtechnik, Band 15. Handelsblatt., 1970.
  4. Technica, Band 19. Birkhäuser., 1970.
  5. European Atomic Forum: The nuclear power industry in Europe. Deutsches Atomforum, 1974.
  6. a b Commerce Clearing House: Common market reports: Euromarket news. Commerce Clearing House, 1972.
  7. Geographisch-Ethnologische Gesellschaft Basel, Universität Basel. Geographisches Institut: Regio Basiliensis, Band 13. Verlag Helbing & Lichtenhahn, 1972.
  8. Schweizerischer Wasserwirtschaftsverband, Schweizerisches Nationalkomitee für Grosse Talsperren: Cours d'eau et énergie, Band 67. Schweizerischer Wasserwirtschaftsverband, 1975.
  9. a b c d e f Power Reactor Information System der IAEA: „Switzerland“ (englisch)
  10. Die Horen, Band 24,Ausgaben 113-116. K. Morawietz, 1979.
  11. Schweizer Monatshefte; Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur, Band 61,Ausgaben 7-12. 1981.
  12. Institution of Electrical Engineers: Science abstracts, Band 92,Ausgaben 1-6. Institution of Electrical Engineers., 1989.
  13. Schweizerischer Wasserwirtschaftsverband, 1975. In: Der SPIEGEL 38/1984, 17.09.1984. (Online-Version)
  14. UMWELT: Trübe Sicht. In: Der SPIEGEL 3/1986, 13.01.1986. (Online-Version)
  15. Atomkraft: Riesige Fahne. In: Der SPIEGEL 36/1989, 04.09.1989. (Online-Version)
  16. Atomkraft: Vergoldeter Schatten. In: Der SPIEGEL 18/1994, 02.05.1994. (Online-Version)
  17. Kerntechnische Gesellschaft (Bonn, Germany): Atomwirtschaft, Atomtechnik, Band 39. Handelsblatt GmbH, 1994.
  18. Peter Haupt: Die Chemie im Spiegel einer regionalen Tageszeitung: 1993-1995. In: Band 4 von Die Chemie im Spiegel einer regionalen Tageszeitung. Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg, 1996.
  19. Kerntechnische Gesellschaft (Bonn, Germany): ATW: Internationale Zeitschrift für Kernenergie, Band 42, Ausgaben 7-12. Verlagsgruppe Handelsblatt, 1997.
  20. OECD Nuclear Energy Agency, Paul Scherrer Institut: Proceedings of the workshop on Advanced Reactors With Innovative Fuels: Villigen, Switzerland, 21-23 October 1998. In: OECD Proceedings: Nuclear Science. OECD Publishing, 1999. ISBN 9264171177.
  21. AKW vom Netz: Schweiz plant Atomausstieg - bis 2034. In: Der SPIEGEL Online, 25.05.2011. (Online-Version)
  22. Bundesrat beschliesst im Rahmen der neuen Energiestrategie schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie (Online-Version)
  23. Erläuterungen des Bundesrates - Volksabstimmung vom 21. Mai 2017 ([1]
  24. Laufzeit schweizer Kernkraftwerke die Sicherheit ist entscheidend nicht das Alter (Online-Version)
  25. Alexander Leyzerovich: Wet-steam turbines for nuclear power plants. PennWell Books, 2005. ISBN 1593700326.
  26. Germany (West). Bundestag: Verhandlungen des Deutschen Bundestages: Stenographische Berichte, Band 282. 1982.
  27. Germany (East). Amt für Kernforschung und Kerntechnik: Kernenergie: Zeitschrift für Kernforschung und Kerntechnik, Band 34. Akademie-Verlag., 1991.
  28. Nuclear Engineering International: 2011 World Nuclear Industry Handbook, 2011.
  29. International Atomic Energy Agency: Operating Experience with Nuclear Power Stations in Member States. Abrufen.

Weblinks

Siehe auch

Portal Kernkraftwerk