Herzlich willkommen in der Nucleopedia! Hierbei handelt es sich um eine freie Enzyklopädie, die sich auf den Bereich der Kernenergie spezialisiert hat. Die Inhalte sind frei verfügbar und unter Lizenz frei verwendbar. Auch Sie können zum Inhalt jederzeit beitragen, indem Sie als Benutzer den Seiteninhalt verbessern, erweitern oder neue Artikel erstellen.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung an dem Projekt!

Benutzerkonto beantragen  Benutzerkonto erstellen

Kernkraftwerk Biblis

Aus Nucleopedia
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Kernkraftwerk Biblis
2011.03.26 001.JPG
Standort
Land Flag of Germany.svg Deutschland
Bundesland Hessen
Ort Biblis
Koordinaten 49° 42′ 33″ N, 8° 24′ 53″ OTerra globe icon light.png 49° 42′ 33″ N, 8° 24′ 53″ O
Reaktordaten
Eigentümer RWE Power AG
Betreiber RWE Power AG
Vertragsjahr 1969
Betriebsaufnahme 1974
Stillgelegt 2 (2525 MW)
Pläne gestoppt 1 (1315 MW)
Pläne storniert 1 (1300 MW)
Spacer.gif
Gtk-dialog-info.svg
Die Quellen für diese Angaben sind in der Zusatzinformation einsehbar.

Das Kernkraftwerk Biblis (Kürzel KWB) steht nahe der gleichnamigen Kleinstadt im Landkreis Bergstraße im Süden von Hessen. Das am Rhein befindliche Kernkraftwerk war vor allem bei Umweltgruppen stark umstritten. Biblis A und B wurden im Jahre 2011 endgültig stillgelegt.

Geschichte

Im Jahre 1965 planten das RWE und die Elektrowatt AG aus Zürich, zusammen ein deutsch-schweizerisches Kernkraftwerk zu errichten. Es standen zwei Standorte zur Verfügung. Einer in Deutschland im Raum Waldshut, nahe der Stadt Schwörstadt und einer in der Schweiz im Raum Leibstadt, nahe Dogern, heute Standort des Kernkraftwerks Leibstadt. Die Erteilung des Auftrages wurde für 1966 projektiert. Man wollte jeweils an beiden Standorten ein Kernkraftwerk errichten. Im Jahr 1965 wurden Bodenproben an beiden Standorten entnommen. Allerdings wurde das Projekt später nicht weiter verfolgt, auch aus dem Grund, dass das Badenwerk bereits bei Schwörstadt ein Kernkraftwerk errichten wollte und später im Jahre 1973 auch den Zuspruch von der Stadt Schwörstadt bekommen hatte. Das RWE erwägte zudem seit 1962 eine Beteiligung an dem Kernkraftwerk Fessenheim, das sich zu dieser Zeit in Planung befand. 1965 gab es nochmals konkrete Planungen an der Beteiligung an Fessenheim, die allerdings nicht weiter verfolgt wurden.[1]

Die Standortsuche wurde später weiter stromabwärts des Rheins in das Gebiet zwischen Mannheim und Frankfurt verlegt. Allerdings gab es in diesem Gebiet bereits andere Kernkraftwerksprokjekte, unter anderem das Kernkraftwerk BASF bei Ludwigshafen, bei dem eine Beteiligung seitens der RWE auch in Erwägung gezogen wurde, aber bis 1968 kein Interesse mehr bestand, sowie ein Kernkraftwerk nahe Mannheim und Kirschgartshausen. Anschließend beschloss man mit den Plänen für ein Kernkraftwerk nahe der Gemeinde Biblis im Landkreis Bergstraße fortzufahren. Seitens der umliegenden Orte und der Gemeinde Biblis gab es für das Projekt große Zustimmung, weshalb Biblis sich aktiv beim Ankauf des Geländes beteiligte, was vom RWE begrüßt wurde. Als Vorteile für den Standort Biblis wurden unter anderem gesehen:[1]

  • Grundlagen für die Anbindung an das Stromnetz
  • genügend Kühlwasser aus dem Rhein
  • gute Verkehrsanbindung zur Anlieferung von Komponenten für das Kernkraftwerk
  • Wunsch der hessischen Landesregierung, die Entwicklung voranzutreiben

Im Januar 1968 machte das RWE eine erste Anfrage an AEG und Siemens für einen möglichen Reaktor in Biblis. Es gab noch keine Übereinstimmung, ob ein Druckwasserreaktor oder ein Siedewasserreaktor zum Einsatz kommen sollte. Der Reaktor für Biblis sollte auf keinen Fall ein Duplikat von den Kernkraftwerken in Würgassen und Stade werden, die sich zu dieser Zeit noch in Bau befanden. Es sollte ein angepasstes Design für Kernreaktoren mit größerer Leistung zum Einsatz kommen. Untersuchungen ergaben, dass die technischen und sicherheitstechnischen Standards für einen Reaktor einer Leistungsklasse von 1000 MW angemessen waren. Ausschlaggebend für die Wahl eines Reaktors dieser Größe war die Tatsache, dass sich in den Vereinigten Staaten von Amerika bereits etwa 28 Reaktoren dieser Leistungsklasse in Bau und in Planung befanden. Die deutschen Hersteller AEG und Siemens konnten auf dieses Know-How zurückgreifen, da sie mit den amerikanischen Entwicklern Lizenzverträge in der Siede- und Druckwasserreaktortechnologie abgeschlossen hatten.[1]

Lage des Kraftwerks

Im Jahre 1969 vereinigten sich AEG und Siemens zur Kraftwerk Union AG und führten das Projekt in gemeinsamer Sache weiter. Noch im gleichen Jahr entschied man sich in Biblis für einen Druckwasserreaktor nach Entscheidung des Reaktortechnikers Heinrich Mandel [2], um Erfahrungen im Umgang mit Druckwasserreaktoren zu sammeln. Am 13. Juni 1969 erteilte man den Auftrag für den Reaktorblock an die Kraftwerk Union. Das Kernkraftwerk sollte schlüsselfertig an den Betreiber übergeben werden. Man nahm damit das Angebot von Siemens über den Bau eines 1200 MW starken Druckwasserreaktors an.[1]

Man entschied sich für den konventionellen Teil für einen einzigen 1200 MW-Turbosatz. Zwei Turbosätze hätten Mehrkosten von 52 Millionen Deutsche Mark verursacht, allerdings würden nach Abzug des höheren Wirkungsgrades die Mehrkosten nur bei 47 Millionen Deutsche Mark liegen. Man hatte sich allerdings aufgrund der Mehrkosten gegen diese Variante entschieden. Insgesamt kostete der Block 750 Millionen Deutsche Mark. Die Kosten teilen sich wie folgt auf:[1]

  • 500 Millionen für die Errichtung der Anlage
  • 120 Millionen für Zinsen und Steuern
  • 130 Millionen für die Erstkernbeladung

Das Finanzierungsmodell ist vergleichbar mit dem von konventionellen Kraftwerken, wie beispielsweise Öl- oder Gaskraftwerken. Bereits 1971 wurde schließlich Block B bei der Kraftwerk Union bestellt. Die Leistung von Block B liegt bei 1300 MW.[1]

Bau

Mit dem Bau des Block A wurde am 1. Januar 1970 begonnen. Der Bau von Block B begann am 1. Februar 1972, etwa zwei Jahre nach Block A. [3] Doch bereits während der Bauzeit gab es erste Stimmen gegen das Kernkraftwerk. In Anti-Atom-Broschüren wurde vor den Risiken und den Umweltauswirkungen der Abwärme von Kernkraftwerken gewarnt. Vor allem Biblis würde etwa 200.000 Kubikmeter Wasser pro Stunde aus dem Rhein entnehmen und die Wassertemperatur um etwa 10 °C erwärmen. Aufgrund dessen hatte man sich für den Bau von zwei 80 Meter hohen Kühltürmen pro Reaktor entschieden. Daraufhin wurde kritisiert, dass die Abwärme in Form von Nebelschwaden freigesetzt wird und den Anwohnern schaden könnte.[4] Größere Protestkundgebungen bezüglich der Blöcke A und B blieben während des Baus aus.

Im November 1972 wurden die Dampferzeuger für Block A bei der Babcock & Wilcox AG in Oberhausen bestellt.[5] Baulich ähnelt der anschließend geplante Block B des Kernkraftwerks von der Auslegung her Block A, besonders in Hinsicht auf die Komponenten. Dies hatte den Vorteil, dass die bereits für den Block A gebauten Anlagen bereits für Block B mitgeplant werden konnten, sodass diese die betrieblichen Belange beider Blöcke decken konnten. Die meisten Änderungen erfolgten im sicherheitstechnischen Bereich. Von der Kühlung her ist der Block jedoch flexibler ausgelegt, sodass er mit Frischwasser-, Ablauf- und Rückkühlung betrieben werden konnte. Aufgrund technischer Zusammenhänge sind jedoch die Kühlwasser- und Kühlturmpumpenbauwerke blockspezifisch getrennt.[6]

Vereinzelt kam es beim Bau zu Protesten, allerdings zu keinen großen Kundgebungen.[7] Gegen den Bau des Block A erhob ein einzelner Bürger Einspruch, gegen Block B waren es ganze Acht.[8]

Betrieb

Am 25. August 1974 wurde der erste Reaktorblock mit dem Stromnetz synchronisiert. Damit war Biblis A der größte Kernreaktor der Welt. Am 26. Februar 1975 wurde der Reaktor dem Betreiber RWE übergeben.[3] Allerdings blieb der anfängliche Erfolg der billigen Kernenergie aus. Alleine 1976 lag Biblis A wegen technischen Problemen im nicht-nuklearen Teil viereinhalb Monate still. Daher mussten immer wieder teure Mittellastkraftwerke den Betrieb aufnehmen, was von Kernkraftgegnern prompt kritisiert wurde. Deshalb hoffte man auf eine baldige Fertigstellung von Biblis B,[9] der am 4. April 1976 den Probebetrieb aufnahm. Am 31. Januar 1977 wurde der Reaktor dem Betreiber RWE übergeben.[3]

Die Anlage im August 1979

Bereits 1978, nach etwa drei Jahren Betrieb von Block A und ein Jahr nach Aufnahme des kommerziellen Betriebs von Block B, gab es erste Mängel an den Reaktoren. Im Zusammenhang mit Pannenhäufungen in Kernkraftwerken mit einem Reaktor der Siedewasserbaulinie '69 wurde auch behauptet, dass Kraftwerke über 800 MW sehr störanfällig seien. Zu dieser Zeit betraf diese Statistik allerdings ausschließlich die beiden Reaktoren in Biblis und Unterweser (zu dieser Zeit noch in Probebetrieb). Durch die geringere Verfügbarkeit durch Störungen an den Reaktoren in Biblis erwiesen sich diese in den ersten Jahren als wenig rentabel.[10] Außerdem geht aus einem Bericht der Reaktorsicherheitskommission (RSK) von 1969, als sich das Kernkraftwerk noch in Planung befand, hervor, dass die RSK die Sicherheitseinrichtungen für Biblis A als viel zu dürftig eingestuft hatte. Vor allem bei einem Versagen des Reaktordruckbehälters wurde dem Lieferanten, der Kraftwerk Union, geraten, den Schutz gegen einen solchen Störfall zu erhöhen. Außerdem musste das Reaktorgebäude einem Bersten des Druckbehälters, und bei einem Kühlmittelverluststörfall mit Austreten von Dampf in die Reaktorhalle den Temperaturen und Drücken standhalten können. Trotz allem wurde Block A nicht dagegen ausgelegt.[11]

Am 15. Februar 1984 musste Biblis B bis auf weiteres wegen einer Klage am Verwaltungsgericht in Darmstadt vom Netz genommen werden. Grund für die Klage war, dass man höher angereicherten Brennstoff mit 3,5 % spaltbaren Material in Block B verwenden wollte, als für den Betrieb (maximal 2,95 % Anreicherung) genehmigt war. Das RWE hatte dazu einen entsprechenden Antrag beim hessischen Wirtschaftsministerium eingereicht. Allerdings wurde dem Wirtschaftsministerium vorgeworfen, dass immer wieder Genehmigungen ohne Rechtsgrundlage und ohne genaue Prüfung der Folgen ausgestellt wurden. Das RWE klagte, dass der Stillstand von Biblis B pro Tag einen Verlust von einer Millionen Deutsche Mark verursachte. Im hessischen Landtag sollte später geprüft werden, ob der Betrieb des Kernkraftwerks überhaupt noch rechtlich vertretbar war.[12]

Ansicht des Kernkraftwerks vom Hemsberg

Im Jahr 1991 wurde von der ARD, inspiriert von der Katastrophe von Tschernobyl, ein fiktiver Film gedreht, in dem ein „GAU“ im Reaktor Biblis A im Jahre 1987 angenommen wurde. Der Film basiert auf dem Szenario eines Störfalls, der sich am 17. Dezember 1987 (siehe Abschnitt „Störungen und Zwischenfälle“) ereignete. Dabei wäre es fast zur Kernschmelze gekommen. Im Film wird angenommen, dass durch eine Hochdruckkernschmelze wegen Kühlwasserverlust der Druckbehälter bersten und das Containment beschädigen würde, weshalb radioaktive Stoffe freigesetzt und die Umgebung „verseucht“ würde. Der Film soll auf Fakten basieren die durch Experten (zB vom Öko-Institut Darmstadt) abgesichert wurden, weshalb dieses Szenario als gut möglich eingestuft wurde. Die Kosten des Unfalls wurden auf Basis von Studien ermittelt, die von dem Ökoschadensforscher Hans-Jürgen Ewers für den Film durchgeführten wurden, und sollten bei etwa 4 Billionen DM liegen würden. Die Kosten seien damit, so Ewers, 20-Mal höher als nach der Tschernobyl-Katastrophe. Das RWE sowie die Kraftwerk-Union konterten die Propagandaoffensive mit der Einrichtung eines Sorgentelefons und Informationskampagnen über die Sicherheit ihrer Kernkraftwerke.[13]

Im Jahr 1999 wurde während der rot/grünen Regierungszeit von Umweltminister Jürgen Trittin (Bündnis '90/Die Grünen) eine Verfügung, die durch dessen Vorgängern gestoppt wurde, wieder freigegeben, dass die Stillegung von Biblis durch die hessische Landesregierung untersagt. Die Landesregierung versuchte seit 1994 immer wieder, Biblis vom Netz zu nehmen. In der Amtszeit von Klaus Töpfer und Angela Merkel im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wurde eine Verfügung gestoppt, wonach die hessische Landesregierung das Kernkraftwerk in Biblis stillegen könnte. Dadurch wurde die Entscheidungsgewalt direkt an die Bundesregierung in Bonn übertragen. Durch die Freigabe dieser Regelung lag es an der neuen Regierung in Hessen aus FDP und CDU, ob das Kernkraftwerk vom Netz oder weiter betrieben werden soll. Man entschied sich später für den weiteren Betrieb.[14]

Im Juli 2003 konnte bei einer Hitzeperiode die Abschaltung von Block B verhindert werden, indem man die Kühltürme von Block A, der sich zu diesem Zeitpunkt in Revision befand, für Block B mitnutzte.[15]

Störungen und Zwischenfälle

Am 17. Dezember 1987 kam es seit Inbetriebnahme zu einen der schwersten Störungen, laut Greenpeace einer der schwersten Störfälle in deutschen Kernkraftwerken.[16] Der Ursprung des Störfalls lag an einem neuen Dampferzeuger. Dieser wurde bei einem dreitägigen Stillstand von Biblis A ausgetauscht, sodass man den Reaktor am 16. Dezember wieder langsam anfahren konnte. Grund für den Austausch war ein kleines Leck innerhalb des Dampferzeugers. Während des Stillstands wird normalerweise ein elektrisch betriebenes Ventil (Ventil TH22 S006) geöffnet, um die Nachzerfallswärme aus dem Reaktor abzuführen. Das Ventil ist ein Teil des Notkühlsystems und muss bei Betrieb wieder geschlossen werden, da der betroffene Teil des Notkühlsystems nicht für einen Druck von 155 Bar ausgelegt ist. Im Normalfall schließt sich das Ventil automatisch, wenn im Reaktor der Druck steigt, da dadurch ein Rückschlagventil vor dem betroffenen Ventil zugedrückt wird. Weil dies scheiterte, versuchte man das Ventil manuell zu schließen. Allerdings hatte auch dieser Versuch keinen Erfolg. Von dem Bedienpersonal in der Blockwarte wurde fälschlicherweise interpretiert, dass das Ventil bereits geschlossen und die Armatur im Kontrollraum defekt sei. Man führte das Anfahren des Reaktors weiter fort, ohne zu prüfen, ob wirklich ein Fehler vorlag, geschweige denn ob das Ventil geschlossen war. In kürzester Zeit leuchteten Alarmmeldungen im Leitstand auf. Die meisten von diesen Meldungen waren sicherheitstechnisch wichtig, allerdings schenkte man dem Ventil keine weitere Aufmerksamkeit. So wurde auch von der darauf folgenden Schicht das Signal des immer noch offen stehenden Ventils übersehen. Störungsmeldungen die genau auf diesen Fehler hinwiesen wurden 15 Stunden lang nicht beachtet.[17]

Die beiden darauf folgenden Schichten haben den Fehler am Ventil ebenfalls nicht beachtet oder behoben. Durch den steigenden Druck hätten die beiden redundanten Ventile, die sich hinter dem offenen Ventil befinden, aufgedrückt werden können. Der hohe Druck hätte so die Rohrleitungen außerhalb des Containments erreichen können, die dem Druck des Reaktorkreislaufs nicht standgehalten hätten. Ein Überströmventil innerhalb des Notkühlsystems wurde bereits aufgedrückt, weshalb sich unterhalb des Reaktordruckbehälters Wasser sammelte. Am 17. Dezember um 3:03 Uhr wurde von einem Operator im Leitstand ein Fehler registriert. In der Aufbereitungsanlage außerhalb des Containments stieg die Temperatur stark an. Zu diesem Zeitpunkt fuhr der Reaktor bereits mit Vollast und drückte deshalb mit vollem Druck in das Notkühlsystem. Nach zwei Stunden wurden alle Meldungen ausgewertet. Durch den Druck war nur noch ein Sperrventil zwischen den außerhalb des Containments liegenden Systemen und dem Notkühlsystem, in das vom Primärkreislauf mit vollem Druck leicht radioaktives Kühlwasser gedrückt wurde. Man musste das Ventil wieder schließen. Im Normalfall hätte der Reaktor bis auf 30 Bar abgefahren werden müssen. Erst bei diesem Druck ist es möglich, das Ventil mechanisch zu schließen. Aufgrund des befürchteten finanziellen Verlusts und unangenehmen Nachfragen von Behörden entschied man sich dagegen. Man plante deshalb ein dahinterliegendes Ventil, das letzte in der Redundanz, im Tipp-Betrieb zu öffnen, um so eine Strömung zu verursachen, die es ermöglichen sollte, das Ventil zu schließen.[17]

Man öffnete, ohne die Schaltpläne zu überprüfen, einfach das Ventil. Durch die leichte Öffnung konnte zwar eine Strömung erzeugt werden, allerdings hatte das keine Auswirkung auf das klemmende Ventil, weshalb es weiterhin geöffnet blieb. Allerdings kam es nun zum unvorhergesehenen Störfall. Durch dahinter liegende, nun ebenfalls offenstehenden Ventile strömte das radioaktive Wasser aus dem Containment ins Freie in den Ringraum. Kein Sicherheitsszenario hatte solch ein Austreten in dieser Art jemals für diesen Reaktor vorgesehen. Das extra geöffnete Ventil wurde durch schnelles reagieren der Bedienmannschaft nach sieben Sekunden sofort wieder geschlossen, weshalb nur 150 Liter außerhalb des Containments geflossen sind. Ein Verlust des gesamten Kühlwassers hätte bei einem Klemmen des im Tipp-Betrieb befindlichen Ventils wohl bis zur Kernschmelze geführt. Anfangs hatte man versucht diesen Vorfall zu verheimlichen. Allerdings hatte die RWE den Vorfall acht Tage danach der Aufsichtsbehörde gemeldet, wo der Störfall als sicherheitstechnisch nicht bedeutend eingestuft wurde. Grund für die leichte Einstufung war, dass die RWE extra den Störfall falsch schilderte.[17]

Die Aufsichtsbehörde im Wirtschaftsministerium in Hessen wurde deshalb misstrauisch, weshalb ein Gutachter des TÜV diese Störung untersuchen sollte. Nach zwei Monaten wurde festgestellt, dass von Seiten der Betriebsmannschaften schwere Fehler begangen worden sind. Allerdings wurde die Gefahr durch den TÜV als gering eingeschätzt, da dieser Zustand nur kurz anhielt und daher ein schwerer Unfall extrem unwahrscheinlich gewesen wäre. Durch den milden Verlauf gab es keinen wirklichen Grund die Informationen über die Störung in der Öffentlichkeit publik zu machen. Weitere drei Monate später hatte man den Störfall neu beurteilt. Auch Bundesumweltminister Töpfer schickte eine Expertenkommission zur Aufklärung nach Biblis. Die Betreiber wurden aufgerufen, vergleichbare Reaktoren nachzurüsten, um solch eine Störung noch unwahrscheinlicher zu machen. Unverständlicherweise wurden die Akten über diese Störung weiterhin als vertraulich eingestuft, sodass die Öffentlichkeit weiterhin unwissend blieb. Nach etwa einen Jahr wurde in einem Artikel im Magazin "Nucleonics Week" erstmals der Störfall in Biblis erwähnt. Das Bundesumweltministerium wollte zwar die Sache weiterhin vertuschen, allerdings hatte dies keinen Erfolg mehr. Auf der internationalen Skala für nukleare Ereignisse wurde dem Störfall die Stufe 1 zugewiesen.[17]

Am 30. Oktober 2000 wurde an einer Hauptkühlmittelpumpe ein Riss an einer Schweißnaht entdeckt. Bei einer vorher durchgeführten Ultraschalluntersuchung wurden, ebenso wie nach einer Röntgenuntersuchung, keine konkreten Schäden an dieser Stelle festgestellt, weshalb man ein älteres manuelles Verfahren anwendete. Erst bei einem Farbeindringtest, durchgeführt vom TÜV, wurde der Riss entdeckt. Als Folge musste in alle Kernkraftwerken, in denen bei Untersuchungen keine eindeutigen Ergebnisse erzielt wurden, dieser Test nachträglich vorgenommen werden. Der Riss in Biblis ist vermutlich durch verunreinigtes Kontaktmittel entstanden.[18]

Am 17. April 2003 wurde durch Weisung des hessischen Umweltministeriums der Reaktor Biblis A vorerst stillgelegt. Grund dafür ist ein neu entdeckter Baufehler am Notkühlsystem, der nach Revisionsarbeiten beim Wiederanfahren festgestellt worden war. Vermutlich lag auch ein Verstoß gegen die Vorschriften der Errichtung des Kernkraftwerk Biblis vor. Genauer gesagt liegt der Baufehler an den Saugseiten der Notkühlpumpen. Vorschriftsgemäß muss die Öffnung 5,9 Quadratmeter groß sein, allerdings wurde nur eine Öffnung von 3 Quadratmetern Größe eingebaut. Nach Klärung der Baumängel wurde der Reaktor wieder angefahren.[19]

Ab dem 1. November 2004 wurden etwa eine Woche lang aufgrund eines Rechenfehlers höhere Mengen an radioaktiven Tritium in den Rhein geleitet als erlaubt. Der Rechenfehler geschah einem einzigen Arbeiter, da die Rechnungen nicht durch einen zweiten Mann geprüft wurden. Um solche Fehler zu vermeiden, hatte das Umweltministerium von Hessen vorgeschrieben zukünftig solche Rechnungen nur zu zweit zu prüfen.[20]

Am 16. Oktober 2006 musste Block B vom Netz genommen werden, da im zur Zeit zur Revision abgeschalteten Block A falsch montierte Spezialdübel (Hinterschnittanker) entdeckt worden waren. Die Dübel dienen dazu Rohrleitungen Erdbebensicher in den Wänden zu befestigen. Nach dem Abfahren des Blocks B, wurden erste Prüfungen an den Ankern vorgenommen. Das Schema ist etwa das gleiche wie in Block A, weshalb auch Block B bis auf weiteres vom Netz musste, bis alle Dübel untersucht und Defekte saniert wurden.[21][22] Biblis B wurde am 1. Dezember 2007 wieder in Betrieb genommen[23] während Block A erst am 9. Februar 2008 wieder in Betrieb genommen wurde.[24]

Atomkonsens

Gesamtansicht vom linken Rheinufer, 2011

Im Zuge des im Jahre 2000 beschlossenen Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Kernenergie wurden auf alle deutschen Kernkraftwerke Reststrommengen verteilt. Die Reststrommengen entsprechen die Menge an Elektrizität, die ein Kernkraftwerk maximal netto noch produzieren darf, bis es abgeschaltet werden muss. Biblis A wurden 62 TWh, und Biblis B wurden maximal etwa 82 TWh zugewiesen.[25] Am 26. September 2006 stellte die RWE AG einen Antrag zur Reststrommengenübertragung in Höhe von 30 TWh vom Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich auf den Block Biblis A. Zusätzlich wurde ein zweiter Antrag gestellt für die Übertragung von Reststrommengen des Kernkraftwerk Emsland, im Falle eines Ablehnens des ersten Antrags. Ziel des Antrag war es, die Betriebszeit von Biblis A bis auf das Jahr 2011 (etwa drittes Quartal) zu verlängern um so die Abschaltung etwa gleichzeitig mit Block B durchzuführen. Wirtschaftlich gesehen wäre diese Variante sinnvoller gewesen, da Mülheim-Kärlich bereits abgeschaltet war und das Kernkraftwerk Emsland diese Menge voraussichtlich erst 2020 produziert hätte, und zu diesem Zeitpunkt voraussichtlich teurer produzieren würde.[26][27]

Der Antrag für die Übertragung von Reststrommengen aus dem Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich auf Biblis A wurde aus Rechtsgründen abgelehnt. Der Grund dafür war das Atomgesetz in dem geschrieben steht, dass Reststrommengen aus Mülheim-Kärlich ausschließlich auf die Kernkraftwerke Emsland, Neckarwestheim 2, Isar 2, Brokdorf, Gundremmingen B und C sowie Biblis B übertragen werden dürfen.[26] Der Hilfsantrag für die Übertragung von Reststrommengen von Emsland auf Biblis A wurde zu einen späteren Zeitpunkt ebenfalls abgelehnt. Als Grund hierfür wird angegeben, dass die Sicherheitsstandards in Emsland höher liegen als in Biblis, weshalb die Stromproduktion in Emsland sicherer sei.[27]

Gegen die Ablehnung der Strommengenübertragung von Mülheim-Kärlich auf Biblis hatte RWE am Verwaltungsgerichtshof Kassel gegen das Bundesumweltministerium geklagt. Allerdings wurde die Klage abgelehnt.[28] Eine anschließende Revision, die gegen das Urteil am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt wurde, wurde anschließend ebenfalls abgelehnt. Allerdings wurden unverständliche Textabschnitte bezüglich der Strommengenübertragung im Atomgesetz kritisiert.[29]

Im Mai 2010 kaufte RWE vom Konkurrenzen E.ON die Restkontingente von 4,8 Terrawattstunden des 2003 stillgelegten Reaktors in Stade für Block A auf. Dadurch hätte der Reaktorblock unter Vollast rund ein halbes Jahr länger am Netz bleiben können, im Streckbetrieb mit dem gesamten Kontingent rund zwei Jahre länger.[30] Am 3. August 2010 wurde durch RWE bestätigt, dass rund 8100 Gigawattstunden Kontingente vom stillgelegten Kernkraftwerk in Mülheim-Kärlich auf Block B übertragen wurden. Dadurch sollte die Anlage voraussichtlich Ende 2011 oder Anfang 2012 vom Netz gehen.[31] Nach dem Beschluss der schwarz-gelben Koalition am 28. Oktober 2010 im deutschen Bundestags zur Verlängerung der Kernkraftwerkslaufzeiten zwischen 8 und 14 Jahren, verschob sich die Abschaltung von Block A auf das Jahr 2016 und von Block B auf 2018.[32]

Stilllegung

Nach der Reaktorunfall von Fukushima am 11. März 2011, mussten Biblis A und B, sowie alle anderen Reaktoren die vor 1980 den Betrieb aufnahmen, inklusive das Kernkraftwerk Krümmel, vom Netz gehen, um Untersuchungen an den Reaktoren über ihre Auslegung vorzunehmen.[33] Am 1. April reichte der Betreiber von Biblis, das RWE, eine Klage gegen die Abschaltung von Biblis A ein. Grund hierfür seien die großen Investitionen, die in den letzten Jahren in Biblis investiert wurden, um die Anlage auf den neusten Stand der Technik zu bringen.[34] Die Prüfungen die während dieses genannten Moratoriums durchgeführt wurden zeigten, dass Biblis keinen nachgewiesenen baulichen Schutz gegen Flugzeugeinschläge besitzt.[35] Am 17. Mai 2011 bestätigte Bundesumweltminister Norbert Röttgen, dass aufgrund des Testergebnisses eine endgültige Stilllegung für Biblis A und B, sowie Brunsbüttel und Philippsburg I infrage kommt.[36] Am 27. Mai 2011 gab es in Wernigerode im Harz zwischen den Umweltministern der 16 Bundesländer und dem Bundesumweltminister eine einstimmige Entscheidung, alle Kernkraftwerke die aufgrund des Moratoriums vom Netz sind und vor 1980 ans Netz gingen (Krümmel nicht mit inbegriffen), nicht wieder anzufahren und die Stilllegung der Reaktoren zu vollziehen.[37] Am 6. August 2011 wurde offiziell die Stilllegung der Anlage vollzogen.[3] 2012 kam dann die Nachricht (Hessenschau), dass das Kernkraftwerk rückgebaut wird.

Aufgrund der kritischen Stromlage wird jedoch einer der Generatoren im Werk umgebaut, sodass eine bestimmte Blindleistung erzeugt wird, die einen Spannungsabfall im Großraum Frankfurt verhindern soll und damit den Zusammenbruch der wichtigen Nord-Süd-Leitung, an der Biblis steht, zu verhindern.[38] Entgegen der ehemaligen Annahmen wird der Generator in seiner Funktion als Phasenschieber bis mindestens 2018 weiter betrieben werden müssen. Ehemals plante man bereits 2013 den Betrieb einzustellen.[39]

Wie bereits zuvor der Verwaltungsgerichtshof Kassel, urteilte am 14. Januar 2014 das Bundesverwaltungsgericht Leipzig, dass die zwanghafte Abschaltung des Kernkraftwerks Biblis nicht rechtens war. RWE kann nun Schadensersatzforderungen einfordern.[40]

Technische Details

Die Reaktoren Ende August 1979

Die beiden Reaktorblöcke in Biblis sind beide mit Druckwasserreaktoren ausgestattet,[3] die von der Kraftwerk-Union und Hochtief gebaut worden sind.[21][22] Die Systeme der Reaktoren sind weitgehend identisch, weshalb die Daten dieser sehr gleich ausfallen. Die thermische Leistung von Block A liegt bei 3540 MW, während die thermische Leistung von Block B bei 3752 MW liegt. Der Wirkungsgrad beider Blöcke liegt bei etwa 33 %, wobei der Wirkungsgrad von Block A leicht geringer ist als der von Block B. Stündlich werden in beiden Blöcken 72000 Kubikmeter Kühlmittel bei 154 Bar durch die Reaktoren geleitet. In beiden Reaktoren befinden sich 193 Brennelemente die insgesamt 102,7 Tonnen Brennstoff enthalten. In Block A wird die Kettenreaktion mit 69 Steuerstäben aus Borcarbid gesteuert, während in Block B acht Steuerstäbe weniger zum Einsatz kommen. Die Druckbehälter von Biblis B ist im Durchmesser leicht größer als in Block A, allerdings sind Gewicht und die anderen Druckbehältergrößen identisch.[41]

Die Wärme aus dem Primärkreislauf (Speisewasserkreislauf) wird über vier Dampferzeuger abgeführt, die in jeden der vier Kühlschleifen im Primärkreislauf angebracht sind. Die vertikal eingebauten Dampferzeuger besitzen eine Übertragungsfläche zum Sekundärkreislauf (Wasser-Dampf-Kreislauf) von je 4510 Quadratmeter in Block A und 4335 Quadratmeter in Block B. Um das kühle zurückgeführte Wasser wieder in den Reaktor zu pumpen, hat jede Kühlschleife eine Speisewasserpumpe die 18.000 Tonnen pro Stunde fördern können. Die ganzen erwähnten Komponenten der Anlage befinden sich in jedem Block in einem Sicherheitsbehälter, der einen Durchmesser von 56 Meter hat. Die Kugel mit einer Wandstärke von 30 Millimeter soll dem Druck einer beispielsweise brechenden Speisewasserleitung im Gebäude aushalten, sodass radioaktive Stoffe nicht in die Atmosphäre gelangen. Die Kugel hält einen Druck von bis zu 4,7 Bar aus.[41]

Kühlwasserrückführung in den Rhein

Im konventionellen Teil des Kernkraftwerks befindet sich die Turbinen- und Kondensatoranlage. Die Turbinen von Block A und B haben beide eine Hochdruckturbinen und drei Niederdruckturbinen,[41] alle Läufer sind zweiflutig.[42] Die Drehzahl der Wellen liegt bei 1500 Umdrehungen pro Minute. Die Wellen sind in beiden Blöcken mit einen Generator gekoppelt.[41] Die Bruttoleistung von Block A liegt bei 1225 MW und die Nettoleistung bei 1167 MW. Bei Block B liegt die Bruttoleistung bei 1300 MW und die Nettoleistung bei 1240 MW.[3] Das Kernkraftwerk Biblis ist das erste deutsche Kernkraftwerk, das für umfangreichen Lastfolge- und Lastwechselbetrieb ausgelegt wurde.[1] Zwischen 40 und 100 % der Nennleistung ist es möglich, jede Minute die Anlage um rund 15 % hoch- oder runterzufahren.[42] Die erzeugte Energie wird über das Umspannwerk Bürstadt, das direkt an der wichtigsten Nord-Süd-Achse des damaligen bundesdeutschen Verbundnetzes lag, in das Höchstspannungsnetz eingespeist.[43] Nach dem Passieren der Turbine wird der restliche Dampf und das abgekühlte Wasser in die Kondensatoren geleitet. Dort wird dem Wasser die Wärme entzogen, es kondensiert und wird anschließend wieder verwendet. Gekühlt wird das Wasser durch einen Teritärkreislauf, dem Kühlwasserkreislauf. Der Kühlwasserkreislauf ist offen ausgelegt und nimmt Wasser aus dem Rhein zum Kühlen. Nachdem über die Kondensatoren die Wärme aufgenommen wurde, wird anschließend das erwärmte Wasser in einen Kühlturm geleitet, von dem jeder Block in Biblis zwei besitzt. Diese sind 80 Meter hoch und werden mit 24 Ventilatoren zwangsbelüftet, da durch die geringe Größe kein natürlicher Luftzug durch die Kühltürme entstehen kann. Der Durchmesser der Kühltürme von Block A liegt bei 68 Meter und bei Block B bei 69 Meter.[41]

Eine Besonderheit an Biblis sind die Notstandsschaltwarten der beiden Reaktoren. Man ging bereits, als das Kernkraftwerk gebaut wurde davon aus, dass bei einen eventuellen Unfall oder Anschlag (durch Bombe, Flugzeug etc.) die Schaltwarte des jeweiligen Blocks zerstört werden könnte. Das System ist so ausgelegt, dass sich der Reaktor automatisch abschaltet und 10 Stunden ohne Bedienung seitens des Personals in einem sicheren Zustand bleiben kann. Dadurch, dass die Blöcke A und B fast baugleich sind, wurden alle Systeme so ausgelegt, dass die Kühlung sowie die Stromversorgung vom Nachbarblock übernommen werden kann, weshalb die beiden Blöcke auch unterirdisch miteinander verbunden sind. Außerdem kann der jeweils andere Reaktor von der Schaltwarte des Nachbarblocks überwacht und betrieben werden. Neben dieser weiteren Möglichkeit einer Steuerung des Reaktors ist es möglich, die für jeden Reaktor vorhandene Notleitwarte zu nutzen. Dort kann langfristig die Kühlung der Reaktoren aufrecht gehalten werden. Diese Leitstände sind unterirdisch gebunkert. Jeder Block in Biblis besitzt solch eine Warte. Dieser Aufbau ist in Deutschland in einem Kernkraftwerk einzigartig.[44]

Block C und D

Bereits im Jahr 1975, noch vor der Übergabe des Blocks A und vor der Fertigstellung von Block B, wurden bereits erste Pläne für zwei weitere Reaktoren öffentlich, Block C und Block D. Angedacht waren erneut zwei 1300 MW-Reaktoren.[45] Noch am 24. Juni 1975 wurde der Auftrag für Block C an die Kraftwerk Union AG übergeben. Wie die beiden existierenden Blöcke sollte auch dieser Block mit einem Druckwasserreaktor ausgestattet werden, der technisch auf den in Betrieb und Bau befindlichen Anlagen basierte und am fortschrittlichsten sein sollte. Im Gegensatz zu den bestehenden Blöcken sollte ausschließlich ein Kühlturmbetrieb erfolgen.[46]

Für die beide Blöcke wurde bereits 1977 eine Genehmigung beantragt. Allerdings wurde Biblis D noch im gleichen Jahr fallen gelassen.[47] Gegen Block C wurden daraufhin 55.000 Einsprüche gesammelt.[8] Bereits bis 1980 wurden mehrere 100 Millionen Deutsche Mark in das Projekt gesteckt. Im September 1980 wurde der Bauantrag vom RWE vorerst wieder zurück gezogen. Grund war, dass eine überarbeitete Reaktorversion für Biblis C zum Einsatz kommen sollte. Der Reaktor der in Biblis zum Einsatz kommen sollte war der KWU-Baulinie '80 angehörig. Allerdings hatte die Kraftwerk-Union eine Standardversion dieser Baulinie entworfen, die zeichnungsgleich im Konvoi gebaut werden sollten. Dadurch war der Aufwand bei der Genehmigung nicht mehr so hoch und die Bauzeit von Kernkraftwerken würde beschleunigt werden. Man rechnete dadurch mit einer Betriebsaufnahme von Biblis C bis frühstens zum Jahre 1989.[48]

Im Jahr 1981 gab es erneut Streit um den Reaktorblock. Der Ministerpräsident des Landes Hessen war politisch angeschlagen und verbot den Bau, bis in Deutschland eine Teilerrichtungsgenehmigung für ein Endlager ausgestellt wurde oder ein Abkommen über die Lieferung von Atommüll nach Frankreich geschlossen wäre. Innerparteilich waren allerdings die Parteirechten eher für den sofortigen Bau des Reaktors, ganz egal ob es ein Endlager gebe oder nicht.[49] Kurz darauf gab es wieder neuen Zündstoff. Es wurde ein Antrag eingereicht, der einen Baustopp von zwei Jahren für Kernkraftwerke forderte. Zeitgleich wurde das sozialliberale Bündnis in Hessen damit konfrontiert, sodass die FDP dem Ministerpräsidenten Börner warnte, dass bis einen Tag vor dem Parteitag 1982 die Teilerrichtungsgenehmigung für Biblis C genehmigt sein müsste, ansonsten würde die Koalition aufgelöst werden. Trotz der Androhung blieb die Koalition ohne Veränderung stehen, allerdings wurde die Teilerrichtungsgenehmigung nicht erteilt.[50]

Ein weiteres Thema bezüglich Biblis C war vor allem der Umweltschutz. In Deutschland gab zu dieser Zeit ein massenhaftes Baumsterben aufgrund von giftigen Abgasen und Säureregen, als Folge mangelnder Abgasreinigung bei konventionellen Kraftwerken. Als Lösung wurde von der Kernenergielobby der Bau von Kernkraftwerken empfohlen. In Hessen wurde dies ebenfalls von der Regierung genutzt. Diese propagierte, dass zum Umweltschutz der dritte Reaktor in Biblis errichtet werden müsse, da ansonsten das Waldsterben weiter voranschreiten würde.[51] Im April 1982 wurden dann nach Ministererlass die Genehmigungsverfahren für den Block in Biblis und weiteren Kernkraftwerken zügig wieder aufgenommen.[52] Im gleichen Jahr im August sagte schließlich der Ministerpräsident Börner, dass der Reaktor nur noch auf lange Sicht nötig sei, um die Industriegebiete in Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu versorgen und den wachsenden Strombedarf zu decken. Allerdings gab es zu dieser Zeit keinen größeren Anstieg des Verbrauchs, weshalb das Projekt mehr und mehr an Bedeutung verlor.[53] Noch einige Jahre zuvor wurde verbreitet, dass der Block für die Stromversorgung von Deutschland auf lange Sicht unerlässlich ist.[48]

Nach der Katastrophe von Tschernobyl wurden die Pläne nicht weiter verfolgt. Die Pläne für Block C wurden bis auf weiteres gestoppt.[54] Die Pläne für Biblis D wurden endgültig storniert.[55] Der in Japan gefertigte Reaktordruckbehälter für Block C wurde für Materialtestzwecken genutzt und dabei zerstört.[56]

Technische Details

Die beiden Blöcke C und D sollten beide Druckwasserreaktoren besitzen. Die Bruttoleistung von Biblis C sollte bei bei 1315 MW liegen, während die Nettoleistung bei 1238 MW liegt. Block D sollte eine projektierte Nettoleistung von 1300 MW haben.[54][55] Die Druckwasserreaktoren sollten Standardabkömmlinge der KWU-Baulinie '80 werden. Im ehemals projektierten Bauschema sollte die Anlage baugleich mit dem Kernkraftwerk Buschehr werden, dessen Bau in dieser Form jedoch nach der Islamischen Revolution im Iran 1979 eingestellt wurde.[48] Im Gegensatz zu Biblis A und B waren für Block C und D jeweils ein 160 m hoher Naturzug-Nasskühlturm vorgesehen.

Sonstiges

Im Zuge des Twinning-Programms der EU für die Verbesserung des Betriebs von Kernkraftwerken in West- und Osteuropa führt das Kernkraftwer Biblis eine Partnerschaft mit dem Kernkraftwerk Balakowo in Russland und Saporoschje in der Ukraine.[21][22]

In den 1970er Jahren wurde das Kernkraftwerk mit dem Kürzel „KKB“ geführt, das allerdings später für das Kernkraftwerk Brunsbüttel genutzt wurde.[42] Das Kernkraftwerk Biblis wurde deshalb einige Jahre ohne Kürzel geführt. Das Kürzel „KWB“ war anfangs für das Kernkraftwerk Borken reserviert worden. Erst nach dem Ende des Projekts in Borken wurde das Kürzel dem Kernkraftwerk in Biblis zugeteilt. Ebenso wurden die Reaktoren in den Planungen mit Nummern versehen, erst nach Baubeginn wurden die Blöcke mit Buchstaben bezeichnet.[42]

Daten der Reaktorblöcke

Das Kernkraftwerk Biblis besteht aus zwei stillgelegten Reaktoren. Ein weiterer Block befindet sich im Planungsstopp und Biblis D wurde storniert.

Reaktorblock[3]
(Zum Ausklappen Block anklicken)
Reaktortyp Leistung Baubeginn Netzsyn-
chronisation
Kommer-
zieller Betrieb
Stilllegung
Typ Baulinie Netto Brutto

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g Wolfgang D. Müller: Auf der Suche nach dem Erfolg - Die sechziger Jahre - Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik Deuschland Band II. In: Schäffer Poeschel, Stuttgart 1996ISBN 3820210296
  2. Mandel, Heinrich: "Standortfragen bei Kernkraftwerken", atw atomwirtschaft 1/1971, Seite 22 - 26
  3. a b c d e f g Power Reactor Information System der IAEA: „Germany“ (englisch)
  4. Spiegel - 19.11.1973 - Atomkraft: Ersatz für das Öl der Araber?
  5. Kerntechnik, isotopentechnik und- chemie, Band 11. Karl Thiemig, 1969.
  6. Kerntechnik, Band 15. K. Thiemig., 1973.
  7. Reinhard Hujer: Forschungspolitik und gesellschaftliche Planung. Westdeutscher Verlag, 1974.
  8. a b Der Baumeister: Zeitschrift für Architektur, Planung, Umwelt, Band 74. 1977.
  9. Spiegel - 03.01.1977 - Atomenergie: "Eine chaotische Entwicklung"
  10. Spiegel - 26.06.1978 - Verblaßter Traum
  11. Spiegel - 23.10.1978 - Hochgradiges Risiko
  12. Spiegel - 19.03.1984 - Im Eimer
  13. Spiegel - 29.04.1991 - Gigantische Keulen
  14. Spiegel - 01.04.1999 - Trittin: Biblis A frei zur Stillegung
  15. Udo Leuschner: Kurzschluss: wie unsere Stromversorgung teurer und schlechter wurde ; eine kritische Bilanz nach acht Jahren "Liberalisierung" der deutschen Energiewirtschaft. Udo Leuschner, 2007. ISBN 386582451X.
  16. ARD Tagesschau - Von Biblis bis Tokaimura: Chronologie atomarer Störfälle
  17. a b c d Spiegel - 12.12.1988 - Wir haben sagenhaftes Glück gehabt
  18. Spiegel - 30.10.2000 - Dicker Hund
  19. Spiegel - 18.04.2003 - Schwerer Fehler im Notkühlsystem
  20. Spiegel - 12.11.2004 - AKW Biblis setzt zu viel Radioaktivität frei
  21. a b c Kernenergie in Deutschland; Jahresbericht 2006 - Herausgeber: Deutsches Atomforum e.V. Seite 24/25 Kernkraftwerk Biblis A; Informationskreis KernEnergie; Druck: UbiaDruckKöln; ISSN:1611-9592
  22. a b c Kernenergie in Deutschland; Jahresbericht 2006 - Herausgeber: Deutsches Atomforum e.V. Seite 26/27 Kernkraftwerk Biblis B; Informationskreis KernEnergie; Druck: UbiaDruckKöln; ISSN:1611-9592
  23. Kernkraftwerke in Deutschland; Betriebsergebnisse 2007 - Herausgeber: Deutsches Atomforum e.V. Seite 8/9 Kernkraftwerk Biblis B; Informationskreis KernEnergie; Druck: in puncto Druck + Medien GmbH Bonn; ISSN:1431-5254
  24. Kernkraftwerke in Deutschland; Betriebsergebnisse 2008 - Herausgeber: Deutsches Atomforum e.V. Seite 6/7 Kernkraftwerk Biblis A; Informationskreis KernEnergie; Druck: in puncto Druck + Medien GmbH Bonn; ISSN:1431-5254
  25. Bundesamt für Strahlenschutz - Version 2009 - Bekanntmachung gemäß § 7 Abs.1c Satz 4 AtG Erzeugte Elektrizitätsmengen (netto) der deutschen Kernkraftwerke, Übertragung von Produktionsrechten und Erfassung der Reststrommengen
  26. a b BMU - 18.05.2007 - Übertragung von Elektrizitätsmengen auf das Kernkraftwerk Biblis, Block A, 1. Teilentscheidung
  27. a b BMU - 07.04.2008 - Übertragung von Elektrizitätsmengen auf das Kernkraftwerk Biblis, Block A, Entscheidung
  28. Spiegel - 27.02.2008 - Biblis A darf nicht länger laufen
  29. Spiegel - 26.03.2009 - Gericht bestätigt Stopp von Biblis und Brunsbüttel
  30. Spiegel - 10.05.2010 - Biblis A - Uralt-Reaktor bleibt länger am Netz
  31. Spiegel - 04.08.2010 - Energie-Deal - Atomkraftwerk Biblis darf länger laufen
  32. World Nuclear Association: Nuclear Power in Germany (englisch)
  33. Schwarz-gelbe Wende: Merkel klemmt sieben Reaktoren ab - vorerst. In: Der SPIEGEL Online, 15.03.2011. (Online-Version)
  34. Atomwende der Regierung: RWE klagt gegen Biblis-Abschaltung. In: Der SPIEGEL Online, 01.04.2011. (Online-Version)
  35. Stresstest: Prüfer entlarven Sicherheitslücken deutscher AKW. In: Der SPIEGEL Online, 17.05.2011. (Online-Version)
  36. Nach Sicherheitsbericht: Röttgen will mindestens vier Atommeiler schließen. In: Manager Magazin, 17.05.2011. (Online-Version)
  37. Beschluss der Umweltminister: Sieben AKWs sollen abgeschaltet bleiben. in: Manager Magazin, 27.05.2011. (Online-Version)
  38. Marlies Uken: Winter in Deutschland Im Stromnetz wird es eng , Zeit Online, 21.12.2011. Abgerufen am 24.12.2011. (Archivierte Version bei WebCite)
  39. Echio: AKW Biblis: Generator läuft weiter, 10.10.2013. Abgerufen am 11.10.2013. (Archivierte Version bei Archive.is)
  40. World Nuclear News: German nuclear shutdown unlawful, 14.01.2014. Abgerufen am 14.01.2014. (Archivierte Version bei Archive.is)
  41. a b c d e RWE Power AG - Kernkraftwerk Biblis, Ein Kurzpotrait
  42. a b c d Robert Gerwin: Kernkraft heute und morgen: Kernforschung und Kerntechnik als Chance unserer Zeit. In: Bild d. Wissenschaft. Deutsche Verlags-Anstalt, 1971. ISBN 3421022623.
  43. Karl Reinhard Hinkel, Hesse (Germany). Ministerium des Innern: Hessen, Gemeinden und Landkreise nach der Gebietsreform: e. Dokumentation. Bernecker, 1977.
  44. RWE Power AG - Kernkraftwerk Biblis, Notstandssystem: Sicher ist sicher
  45. Spiegel - 21.05.1975 - Ein furchterregendes Unterfangen
  46. Verein Deutscher Eisenhüttenleute, Verein Deutscher Eisen- und stahlindustrieller. Nordwestliche gruppe: Stahl und Eisen: Zeitschrift für das Deutsche Eisenhüttenwesen, Band 95. 1975.
  47. Spiegel - 18.04.1977 - Atomenergie: Einsame Rufer
  48. a b c Spiegel - 22.09.1980 - Kernenergie: Noch mal neu
  49. Spiegel - 07.12.1981 - Hessen: Streit wegen Biblis
  50. Spiegel - 22.03.1982 - Börner: Nicht der Watschenmann der Partei
  51. Spiegel - 10.05.1982 - Rettet Atomstrom den deutschen Wald?
  52. Spiegel - 24.05.1982 - Atom-Strom: Buhmann gesucht
  53. Spiegel - 16.08.1982 - SPIEGEL Gespräch: Dregger ist Reagan auf hessisch
  54. a b c Power Reactor Information System der IAEA: „Nuclear Power Reactor Details - BIBLIS-C“ (englisch)
  55. a b c Power Reactor Information System der IAEA: „Nuclear Power Reactor Details - BIBLIS-D“ (englisch)
  56. S. Ritter, H.P. Seifert: Characterisation of the Lower Shell and Weld Material of the Biblis C Reactor Pressure Vessel. Paul Scherrer Institut, Januar 2002. ISSN 1019-0643. (Online-Version)
  57. a b c d Nuclear Engineering International: 2011 World Nuclear Industry Handbook, 2011.
  58. a b c d International Atomic Energy Agency: Operating Experience with Nuclear Power Stations in Member States. Abrufen.

Literatur & Medien

  • Paul Höhmann u.a.: Musteranlagen der Energiewirtschaft: Das Kernkraftwerk Biblis des RWE. In: Energiewirtschaft und Technik Verlagsgesellschaft, Gräfelfing-München