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Atomgrad

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Als Atomgrad (russisch Атомград, zu Deutsch Atomstadt) wurden in der Sowjetunion die Städte bezeichnet, die zusammen mit den sowjetischen Kernkraftwerken oder anderen Atomanlagen als Unterkunft für die Arbeiter errichtet wurden. Meistens waren die Städte fest geplante Bauten, die auf dem Reißbrett entstanden, um die Grundbedürfnisse der Arbeiter und dort lebenden Menschen zu erfüllen und die Schaffung einer Infrastruktur zu vereinfachen. Als Referenz galt in den 1980er Jahren die Stadt Prypjat, die im Zusammenhang mit dem Bau des Kernkraftwerks Tschernobyl entstand. Die Stadt hat mehrmals den Architektur- und Planungspreis der Sowjetunion gewonnen. Einige Städte entstanden auch auf der Basis eines Dorfes oder einer kleineren Stadt, die bereits vorher gegründet wurde, bevor sie ausgebaut wurde.

Hintergrund

Aufgrund des sowjetischen Atomprogramms wurde 1945 erstmals der Bau einer neuen Stadt am Baikalsee vorgenommen die den Namen Atomgrad tragen sollte, heute bekannt unter dem Namen Angarsk. Die Stadt war jedoch nicht für die Entwicklung einer herkömmlichen Atombombe, sondern für Wasserstoffbomben errichtet worden, die auch als Kosmische Bombe bezeichnet wurde aufgrund ihrer weitaus stärkeren Wirkung.[1] Ähnliche Städte nach dem Vorbild von Atomgrad, eine eher geheim gehaltene geschlossene Stadt, wurden bei Moskau errichtet, sowie ein neuer Stadtteil bei Tomsk, genannt Tomsk-7 in Sibirien, heute besser bekannt als Sewersk.[2] Atomgrad selbst wurde in der Sowjetunion selber sowie außerhalb als das wissenschaftliche Zentrum der Atombombenentwicklung genannt und wurde deshalb selbst immer mehr zu einem Mythos um den sich unterschiedliche Gerüchte breit machten.[3] Die Lage der Stadt selbst war im Ausland nur sehr wage bekannt. Man wusste, dass sich die Stadt unweit des Baikalsees befindet, nahe der Stadt Irkutsk. Einige gingen auch davon aus, dass sie direkt im See liegen könnte. Interessant wurde die Entwicklung der Stadt nachdem man hier die ersten Modelle für zivile Kernkraftwerke vorstellte, jedoch ohne offizielle Demonstration seitens der Sowjetunion vor der Weltbevölkerung.[4] Nachdem bis 1949 und 1950 eine Reihe weiterer Städte entstanden, die nicht näher erläutert wurden, wurde es üblich diese Städte, die naheliegender Weise etwas mit der Entwicklung der Kernenergie zu tun haben, als Atomgrad zu bezeichnen, weshalb auch andere Städte diesen Namen erhielten. Der Begriff Atomgrad selbst wurde von Werner Heisenberg erstmals in Umlauf gebracht im Zusammenhang mit sowjetischen Atomstädten.[5]

Sowjetunion

Seitens der Sowjetunion wurde im Jahre 1950 die Existenz solcher Atomgrads bestritten und hervorgehoben, dass die gesamte Nuklearindustrie dezentralisiert sei.[6] Trotzdem begannen westliche Länder nach solchen Atomstädten in der Sowjetunion mit Satelliten und Aufklärungsflügen zu suchen. Die Nummerierung legte fest, dass sich Atomgrad I und Atomgrad II an der Südwestgrenze von Sibirien oder anders an der Südostgrenze von Europa liegen könnte, Atomgrad III im Pamirgebirge und Atomgrad IV und Atomgrad V nahe Ust-Ordinsk. Diese Vermutungen wurden jedoch nie von der Sowjetunion bestätigt. Interessanterweise sind die örtlichen geologischen Bedingungen weitestgehend identisch.[7] Die Bezeichnung Atomgrad setze sich in der Folge auch für zivile Siedlungen durch, die Werke für die Nuklearindustrie beherbergten und aus dem Nichts für die Arbeiter entstanden. Als Modellstadt galt die ab 1970 im Eilverfahren für relativ wenig Geld errichtete Stadt Prypjat, die sich bis in die 1980er zu der Modernsten innerhalb der Sowjetunion entwickelte, bis sie nach der Katastrophe von Tschernobyl evakuiert werden musste. Anders als die anderen Atomgrads in der Sowjetunion wurde Pripjat nicht aus dem Staatsbudget der UdSSR finanziert, sondern aus externen Quellen sowie vom Betreiber Sojusatomenergo, weshalb der Lebensstandard weitaus höher war als in anderen Städten.[8]

Russland

Die meisten geschlossenen Atomstädte wurden nach dem Zerfall der Sowjetunion einigen ausgewählten Personen geöffnet, wie 1992 der Stadtteil Krasnojarsk-26, der durch mehrfache Sicherheitsgürtel geschützt ist, in dessen Zentrum das Bergbau- und Chemikombinat Schlesenogorsk liegt.[9] Nach dem Erlass 508 der Russischen Föderation sind folgende Orte aus der Nuklearindustrie weiterhin geschlossen und alle der Staatsholding Rosatom unterstellt aufgrund folgender Produktionsstätten:

  • Krasnojarsk-26 (Schelesenogrosk)
    • Ehemalige Plutonium-Reaktoranlagen
    • Wiederaufbereitungsanlage RT-21
  • Pensa-19 (Saratschny)
    • Komponentenfertigung für Kernwaffen
  • Krasnojarsk-45 (Selenogorsk)
    • Erzeugung radioaktiver Isotopen
  • Swerdlowsk-45 (Lesnoi)
    • Bau und Entsorgung für Kernwaffen
    • Erzeugung radioaktiver und stabiler Isotope
  • Swerdlowsk-44 (Nowouralsk)
  • Tscheljabinsk-45 (Ozersk)
    • Wiederaufbereitungsanlage
  • Arsamas-16 (Sarow)
    • Forschungszentrum
    • Fertigung von Kernwaffen
  • Tomsk-7 (Sewersk)
    • Ehemalige Plutonium-Reaktoranlagen
    • Wiederaufbereitungsanlage
    • Fertigung von Kernwaffen
  • Tscheljabinsk-70 (Senschinsk)
    • Forschungszentrum
    • Fertigung von Kernwaffen
  • Slatoust-36 (Trjochgorny)
    • Systementwicklung für Kernwaffen und Kernkraftwerke

Im August 2012 erörterte der Bürgermeister der Stadt Wolgodonsk, Wiktor Firsow mit dem Vorstand von Rosenergoatom, Ewgenija Romanow ein Netzwerk für Städte mit Kernkraftwerken in Russland zu Gründen. Noch im September 2012 sollte erstmals ein Teffen der neuen Vereinigung in Kurtschatow stattfinden bei dem die Vertreter aller zehn Atomgrads der zivilen Kernkraftwerke anwesend sein sollten. Der Vereinigung der Kernkraftwerksstädte (russisch Ассоциацию городов АЭС) soll zur gemeinsamen Lösung soziökonomischer Probleme der Städte beitragen, mit denen einige Atomgrads in Russland aufgrund des Monogorod-CharaktersStädte, die nur von einem Industriezweig leben. Probleme haben.[10]

Andere Länder

Auch außerhalb der Sowjetunion in den anderen sozialistischen Staaten wie beispielsweise der Tschechoslowakei wurde Joachimstal als Atomgrad bezeichnet, wobei die Benennung 1945 seitens einiger Russen vor Ort diese Namensgebung beeinflusste.[11] Die Auswahl einiger Atomstädte ist in der Tabelle aufgeführt:

Luftaufnahme der Stadt Bilibino
Stadtzentrum von Osjorsk
Straßenzug in Poljarnyje Sori
Blick über Prypjat
Straße Taikos Prospektas in Visaginas
Stadt Gründung Atomanlagen Land
Agidel 1980 Kernkraftwerk Baschkirien Russische Föderation
Aktau 1961 Kernkraftwerk Aktau Kasachstan
Balakowo 1762 Kernkraftwerk Balakowo Russische Föderation
Bilibino 1955 Kernkraftwerk Bilibino Russische Föderation
Desnogorsk 1974 Kernkraftwerk Smolensk Russische Föderation
Enerhodar 1970 Kernkraftwerk Saporischschja Ukraine
Juschnoukrajinsk 1976 Kernkraftwerk Süd-Ukraine Ukraine
Kamskije Poljany 1981 Kernkraftwerk Tatarien (Kama) Russische Föderation
Kurtschatow 1968 Kernkraftwerk Kursk Russische Föderation
Kusnezowsk 1973 Kernkraftwerk Riwne Ukraine
Mezamor 1969 Kernkraftwerk Mezamor Armenien
Netischyn 1984 Kernkraftwerk Chmelnyzkyj Ukraine
Nowoworonesch 1975 Kernkraftwerk Nowoworonesch
Kernkraftwerk Nowoworonesch II
Russische Föderation
Obninsk 1956 Kernkraftwerk Obninsk,
IPPE
Russische Föderation
Osjorsk 1945 Kerntechnische Anlage Majak,
Kernkraftwerk Süd-Ural
Russische Föderation
Poljarnyje Sori 1968 Kernkraftwerk Kola Russische Föderation
Prypjat,
Slawutitsch
1970,
1986
Kernkraftwerk Tschernobyl Ukraine
Saretschny 1957 Kernkraftwerk Belojarsk Russische Föderation
Scholkine 1978 Kernkraftwerk Krim Ukraine
Sewersk 1949 Kerntechnische Anlage Tomsk Russische Föderation
Sosnowy Bor 1958 Kernkraftwerk Leningrad
Kernkraftwerk Leningrad II
Russische Föderation
Teplodar 1981 Kernheizkraftwerk Odessa Ukraine
Tschistyje Bory 1979 Kernkraftwerk Kostroma Russische Föderation
Udomlja 1961 Kernkraftwerk Kalinin Russische Föderation
Visaginas 1975 Kernkraftwerk Ignalina,
Kernkraftwerk Visaginas
Litauen
Wolgodonsk 1950 Kernkraftwerk Rostow,
Atommaschinen
Russische Föderation

Einzelnachweise

  1. Frankfurter Hefte, Band 1. Neue Verlagsgesellschaft der Frankfurter Hefte., 1946. Seite 890.
  2. Hans Eberhard Friedrich: Prisma, Bände 9-16. K. Desch, 1947. Seite 227.
  3. Science digest, Band 24. Science digest, 1948. Seite 26.
  4. Overseas Press Club of America: As we see Russia. E.P. Dutton, 1948. Seite 44.
  5. Scientific American. Scientific American, inc., 1949. Seite 25.
  6. Facts on file yearbook. Facts on File, inc., 1950. Seite 331.
  7. Emil Kohl: Uran. In: Band 10 von Die metallischen Rohstoffe, ihre Lagerungsverhältnisse und ihre wirtschaftliche Bedeutung. F. Enke, 1954. Seite 193.
  8. New scientist, Band 151,Ausgaben 2037-2041. IPC Magazines, 1996. Seite 28.
  9. Michael Winter: Ende eines Traums: Blick zurück auf das utopische Zeitalter Europas. J.B. Metzler, 1993. ISBN 3476008401. Seite 324.
  10. Rosatom: «Росэнергоатом» намерен создать Ассоциацию городов АЭС, 03.08.2012. Abgerufen am 08.08.2012. (Archivierte Version bei WebCite)
  11. In deutschen Landen. Houghton Mifflin, 1953. Seite 103.

Siehe auch

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